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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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musste er zu ihr sagen. Sie war trotz allem eine Offizierin an einem Checkpoint, und er spielte die Rolle des armen Palästinensers, aber das Wort fühlte sich gezwungen an, und sie hatte Mitleid mit ihm.
    Als die Männer weg waren, gingen Tomer und sie mit dem Jungen zum Stützpunkt, um die nötigen Anrufe wegen der Festnahme zu machen. Die Männer waren erst spät gegangen, darum wurde es schon dunkel, als sie zur Absperrung zurückkamen, aber die orangefarbenen Straßenlaternen waren noch nicht an.
    Sie ging schneller, weil sie neben dem Jungen laufen wollte. Sie ging ganz plötzlich schneller und hatte dann Angst, sie könnte ihn erschreckt haben. Sie griff rasch nach seiner Hand.
    Der Junge hätte Grund zur Angst gehabt, aber stattdessen hatte sie Angst, weil sie es in dem Moment spüren konnte – den trocknenden Schweiß seiner Hand, den sie jetzt an ihrer hatte, etwas Staub von dem Stein, den er aufgehoben hatte, und den Wind. Sie spürte das alles auf einmal. Sie dachte daran, wie Tomer sich später am Abend mit seinem ganzen Gewicht auf sie schmeißen und ihr die Knochen auf die Betonabsperrung drücken würde. Ganz kurz nur fragte sie sich, ob er dann ihren richtigen Namen sagen würde und nicht »Offizierin«. Sie überlegte, ob sie ihn darum bitten sollte, dachte dann aber, dass das eigentlich nicht wichtig war. Diese zwei Daten, die Tage an den beiden Enden ihrer Dienstzeit. Was auch immer sich zwischen diesen beiden Tagen abspielte, war Dekoration und Luft und würde nicht beeinflussen, was mal aus ihr werden würde.
    Sie beschloss, am nächsten Tag zum Militärpsychologen zu gehen und um eine vorzeitige Entlassung zu bitten, auch wenn ihre Dienstzeit beinahe beendet war.

    Ein paar Jahre später öffneten sie die Route 433 wieder, wenn auch nur für wenige Monate. Immer noch verbringen Soldaten drei Jahre damit, jedem, der blöd genug ist, es zu probieren, zu sagen, »tut mir leid, die Straße ist gesperrt«. Als sie hörte, dass die Route geöffnet wurde, und als sie dann hörte, dass sie wieder gesperrt wurde, konnte sie es spüren: ihre Hand, die Spucke des Jungen, fast genau so stark wie sie es damals und dort gespürt hatte.
    Auf dunklen Partys in Tel Aviv, wenn sie durch die Straßen lief oder sich in geschlossenen Räumen aufhielt, spürte sie manchmal die Spucke an der Hand, auch wenn sie nicht gezwungen war, von der Route 433 zu hören. Sie spürte sie auf düsteren Partys, wenn sie durch die Gegend lief, und in geschlossenen Räumen, wo sie nie allein war, wo sie immer noch mit jemand anderem war, und wenn derjenige ihren Namen sagte, spürte sie es. Was meinst du, Lea? Danke, Lea. Ja, Lea, find ich auch. Immer wenn sie in der Dunkelheit ihren Namen hörte, spürte sie die Spucke des Jungen von diesem einen Abend an ihrer Hand.
    An dem Abend damals war Tomer nur einen Schritt hinter ihr und dem Jungen gegangen. Sie waren gelaufen, hatten Steine weggekickt, gesummt und lange in die Sterne geschaut, bevor die ersten Lampen manche Sterne verschluckten. Sie dachte an alles, was noch nicht geschehen war, wovon sie aber wusste, dass es bald geschehen würde. Den Beton. Die Zeitung. Die Bitte, Gummigeschosse zu verwenden.
    »Lea«, sagte Tomer, kurz bevor sie auf dem Vorposten ankamen. »Wir müssen unbedingt wetten, auf welche Seite in der Zeitung die Verhaftung kommt. Was meinst du, Lea?«
    Und die blöde Frage, die sie gerade verjagt hatte, kam wieder. Sie war wieder da. Lea fragte sich, wie er sie heute Nacht nennen würde, obwohl sie wusste, dass egal war, für welches Wort von allen Wörtern der Welt er sich entscheiden würde. Es würde die Geschwindigkeit der Schritte der Tage ebensowenig ändern wie die Geschwindigkeit der Schritte dieser Nacht.
    Als sie so liefen, steckte der Junge wieder die Finger in den Mund, die Hand, die sie gerade gestreift hatte.
    In jener Nacht war Lea einundzwanzig, Tomer neunzehn und der Junge dreizehn. Schweigend und im Gleichschritt liefen sie an der Betonabsperrung vorbei. In den Augen eines Dorfbewohners an einem der hell erleuchteten Fenster in der Ferne hätten sie eine Familie sein können.

Früher konnten wir spielen, wir wären etwas ganz anderes
    Drei Tage vor meiner Abreise aus dem Dorf passierte etwas fast Gutes: Lea interessierte sich endlich wieder für etwas, das nicht ganz wahr war.
    »Yael? Miller hat einen Olivenbaum getötet«, sagte Lea.
    »Ja«, sagte ich.
    »Zu sterben, das ist das Schwerste auf der ganzen Welt, wenn man ein Olivenbaum

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