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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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würde, wenn es mit Avishag »gut lief«.
    »Sie könnten ihr etwas vorlesen«, schlug ihm die Sozialarbeiterin mit dem Schweinegesicht vor und wischte sich mit der runzligen Hand die Nase ab.
    Das war definitiv der dümmste Vorschlag, den Avi je gehört hatte. Wenn es anders gelaufen wäre, würde diese Frau jetzt in diesem Augenblick in einem Café in Berlin sitzen und sich eine Bratwurst reinstopfen, und er würde mit seiner Tochter über den Markt in Tripolis reiten und ihr schwarzen Kajal und lilafarbene Tücher kaufen. In Tripolis fingen die Mädchen schon mit acht an, sich zu schminken, und sie bedeckten das Gesicht immer mit einem Tuch. Diese Frau hier trug nicht mal Lippenstift, und er hätte schwören können, dass sie Geheimratsecken bekommen würde. Diese Frau wusste nicht, was es hieß, eine Frau zu sein.
    »Ich lese nicht«, sagte Avi. Damit meinte er, dass er nicht lesen konnte, zumindest nicht gut genug für ein Buch.
    »Oh, verstehe«, sagte die Deutsche. Sie dachte wahrscheinlich, er hätte gemeint, er könne kein Hebräisch lesen, aber er konnte ganz grundsätzlich nicht gut lesen. Als er zehn war, war seine Familie von Tripolis ins Flüchtlingslager geflohen, und das Wenige, das er bis dahin gelernt hatte, hatte er wieder vergessen. Er hatte dort in den Zelten gelebt, die später durch eine Container-Stadt ersetzt wurden, direkt am Meer, bis er alt genug war, um zur Armee zu gehen. Er war den anderen Kindern immer unterlegen gewesen. Er war nicht klug genug, um aus den Buchstaben Wörter zu machen.
    Aber seine Tochter, die hatte er machen können, und er hatte sie gemacht, und seine Tochter, die wusste schon, was es hieß, eine Frau zu sein. Sie war erst acht, sogar noch dunkler als er selbst, und sie nahm sein Gesicht wie eine Dame, wie eine Mutter zwischen ihre kleinen Hände und sagte, »Vater, die Geschichten hier, die will ich nicht. Ich will deine Geschichten. Erzähl mir deine.«
    Er hatte noch nie eine Geschichte erzählt. Die Deutsche grinste.
    Er nahm seine Tochter auf den Schoß.
    »Sie muss auf ihrem Stuhl sitzen bleiben«, sagte die Deutsche.
    »Oh, okay«, sagte er. Avishag setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Sie hielt seine Hand fest.
    »Es gab einmal ein Land, und da lebten eine Mutter und ein Vater«, fing er an.
    »Ich glaube, Ihrer Exfrau wäre es lieb, wenn Sie das Kind aus persönlichen Angelegenheiten raushalten würden«, sagte die Deutsche.
    Persönliche Angelegenheiten! Er hatte »das Kind« gemacht. Was hätte er ihr erzählen können, das nicht persönlich gewesen wäre? Diese Europäer , dachte Avi. Diese ganze verfluchte Förmlichkeit. Sie haben kein Herz. Das hat Hitler verbrannt.
    »Es gab einmal ein Land«, setzte er noch mal an. Er machte eine Pause, und dann erzählte er weiter. Und das war der Anfang der einzigen Geschichte, die er je erzählen würde.

    »Tu was«, sagte Avi, als sie auf dem Parkplatz angekommen waren. Avishag und er lehnten an der Kühlerhaube. Fünf Minuten Überredungszeit hatte er gebraucht, bis sie vom Beifahrersitz aufgestanden und ausgestiegen war, und im Vergleich zum letzten Mal war das schon ein Fortschritt. Immerhin etwas. Es gab noch Hoffnung.
    Er bot ihr eine seiner Zigaretten an, und sie standen da und rauchten. Auf dem verlassenen Parkplatz gab es nur Asphalt, gelbes Gras und einen Sattelschlepper ohne Räder.
    »Setzt dich nur mal kurz ans Steuer«, sagte Avi. »Tu’s für mich.« Er faltete die Hände und war kurz davor, auf die Knie zu gehen.
    »Mir ist zu heiß«, sagte Avishag. »Ich setz mich wieder rein.« Die kühle Luft des Wagens, das war eine Kleinigkeit, die sie wollte, und für sie war das immerhin schon was.
    Avi wollte fast aufgeben.
    Dann dachte er an den Aufkleber, der hinten an dem Transporter geklebt hatte. Dieser Aufkleber, billig, pink, idiotisch und echt. »Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst.«
    Das Lesen hatte er für seine Tochter gelernt. Stundenlang hatte er über einem einzigen Artikel im Sportteil der Zeitung gebrütet. Und dann auf einmal, Jahre später, fiel ihm auf, dass er den ganzen Teil mal eben während einer einzigen Klositzung gelesen hatte.
    Seitdem dachte er immer an seine mittlere Tochter, immer dann, wenn sich das Leben für Augenblicke ganz leicht leben ließ. Wenn er mit seinen kleinen Jungs Fußball spielte, seiner neuen Frau ein prächtiges Stück Lammfleisch kaufte, einen Gebrauchtwagen erstand.
    Seine Tochter öffnete die Beifahrertür, langsam und vorsichtig, damit sie nicht

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