Das Vortex Fiasko
sehen?
Verliere ich den Verstand?
»Hast du etwas gesagt, Josh?« fragte Janie ihn.
»Huh? Nein, ich habe wohl nur laut gedacht.«
Hinter dem Schlafzimmerfenster hatte sich die Nacht über der Skyline von New York festgesetzt; in einigen Gebäuden brannten noch einzelne Bürolampen, aber nicht die Etagenbeleuchtungen, und diese spärliche Helligkeit warf einen unheimlichen Schimmer auf die darunterliegenden Straßen. Janies Vierzimmerwohnung war modern eingerichtet und verfügte über eine Kochnische, die sich an der Wand gegenüber der Eingangstür befand.
»Wie wäre es mit einem Happen zu essen?« fragte sie.
»Ich habe keinen Hunger«, entgegnete Bane. »Später vielleicht.«
Sie trat hinter ihn und massierte seine Schultern. Ihre überraschend starken Finger gruben sich tief in das Fleisch und fanden fast augenblicklich die Wurzel seiner Erschöpfung. Bane war direkt vom Rockefeller Center auf eine Trainingseinheit zum King gegangen. Die Begegnung mit diesem Jungen hatte seine Gefühle durcheinandergebracht. Dabei störte ihn in erster Linie nicht so sehr, daß es ihm nicht gelungen war, den Jungen zu ergreifen, sondern vielmehr, daß er überhaupt den Versuch unternommen hatte. Er ging zum King, um sich in zwei Stunden harten Trainings mit dem kalten Stahl die Unruhe aus dem Leib zu treiben. Doch das Gewichtheben hatte die Dinge nur noch schlimmer gemacht; nun nagte die Erkenntnis an ihm, daß er den Jungen wahrscheinlich niemals wiedersehen würde.
»Mein Gott, bist du verspannt«, sagte Janie.
»Ich glaube, ich werde verrückt«, sagte Bane geistesabwesend. »Wie konnte dieser Junge Peter nur so ähnlich sehen?«
»Du hast gesagt, er war älter als Peter.«
»Fünf Jahre oder so. Und es ist fünf Jahre her, daß …« Bane ließ den Rest des Satzes verhallen. »Als ich ihn verfolgte, kam ich mir unbesiegbar vor, als könne mich nichts aufhalten. Doch etwas versuchte mich aufzuhalten – ich konnte es fühlen.«
»Und dann bedurfte es eines Mannes ohne Beine, um dich schließlich zu Fall zu bringen.« Jane grub die Finger tiefer in sein Fleisch. »Du jagst Schatten nach, Josh.«
»Oder Geistern.«
»Ein reiner Zufall, Schatz, sonst nichts.«
»Glaube ich auch.«
Bane seufzte unbehaglich. Seine Erinnerungen trieben zuerst fünf Jahre und dann noch weiter zurück, zu seiner Rückkehr von den Reisfeldern und Dschungeln von Vietnam. Der Krieg war vorbei, doch es gab noch genug zu tun für den Wintermann, in Form von hundert anderen Vietnams in verschiedenen Entwicklungsstadien, von denen ein jedes für die Belange der Vereinigten Staaten gleichermaßen wichtig war. Gute Geheimdienste spüren Bedrohungen auf, bevor sie sich voll entwickeln können. Und die größten Bedrohungen für die Sicherheit Amerikas waren clevere Generäle, sozialistische Agitatoren und Männer, die zuviel wußten und ihre Dienste für zuwenig verkauften. Diese Leute wurden die neuen Ziele des Wintermannes. Er zog durch fast zwanzig Länder und hatte, kaum, daß er das nächste betreten hatte, schon den Namen des letzten vergessen. In einigen war es kalt, in den meisten kochend heiß.
Offiziell arbeitete Bane in diesen Jahren unter dem mächtigen Arthur Jorgenson, dem Direktor der höchst geheimen Clandestine Operations des Pentagons, der gleichen Abteilung, die seine Einsätze in Vietnam geleitet hatte. Bane hatte schon lange aufgehört, die Zahl der Menschen zu zählen, die er unter Jorgensons Befehl getötet hatte, und es störte ihn auch nicht mehr, was er getan hatte. Das Töten war eine Begabung, die man einsetzte wie jede andere auch. Er betrachtete seine auserwählten Opfer nicht anders als ein Pathologe einen Leichnam, kalt und unbeteiligt.
Gegen Ende der siebziger Jahre reiste Bane nach El Salvador; dies sollte sein letzter Einsatz unter Tarnung für die Clandestine Operations werden. Seine Aufgabe war es, zwei Rebellenführer zu töten, die eine Revolutionsbewegung angezettelt hatte; unterstützt werden sollte er dabei von einem dritten Rebellenführer, der die Dinge offensichtlich schon aus dem amerikanischen Blickwinkel sah.
Bane machte sich methodisch wie immer an die Arbeit, lebte im Dschungel und spürte die Männer auf, die für sein Fadenkreuz bestimmt waren. Er wählte für beide Ort und Zeit aus; zwischen den beiden Anschlägen sollten nur vierzig Minuten verstreichen, um eine größtmögliche Verwirrung zu erzeugen. Er erfuhr zu spät, daß der ganze Einsatz ein ausgeklügelter Hinterhalt war, den
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