Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
gestanden, hätte bestimmt jemand einen Knochen geworfen. Für alle, die den Film 2001 nicht gesehen haben, soll dies ein Anstoß sein.
Wie so oft erinnere ich mich sonst an nichts mehr aus diesem Urlaub. Es ist tatsächlich wieder einmal erstaunlich, dass mir wirklich nur die negativen Dinge im Gedächtnis blieben. Bin ich also ebenso wie die oben beschriebenen Klischee-Italiener nicht einen Deut weniger typisch klischee-deutsch, weil ich ganz in der Tradition unseres Jammer- und Meckerstaats die positiven Dinge als selbstverständlich hinnehme und sofort vergesse, während ich mich heute nur noch an die Dinge erinnere, die ich scheiße fand? Ich weigere mich, diesen Gedanken weiterzudenken, und beschließe hiermit dieses Kapitel.
Alleine zu zweit
A ls ich sechs Jahre alt war, änderten sich die Dinge. Und zwar grundlegend. Denn nun hatte ich einen kleinen Bruder. Sein Name war und ist Nico. Mein Bruder ist mir heute durchaus in ein paar Dingen recht ähnlich. Zunächst mal tendieren wir beide zu langen Haaren und Bart, teilen einen Großteil unseres Musikgeschmacks und auch den Humor, was für unseren Job von großem Vorteil ist. Denn mein Bruder kümmert sich in unserer Produktionsfirma mit dem lustigen Namen bumm film GmbH um das adäquate Sounddesign unserer Produktionen.
Inzwischen ist es so, dass die sogenannten Regieabnahmen mit mir auf der Regieseite und Nico als Tonverantwortlichem in etwa so lange dauern, wie der Film lang ist. Denn mir fällt kaum mehr irgendetwas auf, was ich nicht gerne anders hätte. Meistens ist es sogar besser als das, was ich mir ursprünglich an der Stelle gedacht hatte, und das ist jedes Mal ein großer Spaß. Auch in unserer gemeinsamen Band mit dem Namen »Harpo speaks!!« harmonieren wir musikalisch wie stimmlich miteinander, und wenn man uns so sieht, möchte man gar nicht glauben, dass wir über viele Jahre hinweg so gar nichts miteinander anfangen konnten.
Für mich war mein kleiner Bruder lange Zeit nichts anderes als Das Ding, Das Brüllt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er bei der Frage nach seinem Namen mit »Geh weg« geantwortet hätte. Erst als Nico im Alter von zwölf Jahren auch begann, Musik zu machen, bekam er so etwas wie einen Nutzwert für mich, und wir fanden dadurch einen richtigen Draht zueinander. Vorher war er mir entweder zu lästig oder zu laut oder beides.
Am schlimmsten aber war in der Rückschau: Er war mir entschieden zu begeistert von Fahrrädern, Booten, Zelten und Dingen, die man klappen kann.
Ja, mein Bruder liebt Camping.
War ja klar, oder? Wie könnte es auch anders sein? Natürlich liebt er Camping! Und dadurch machte er sich bei mir vorsichtig gesagt nicht gerade beliebter. Schon von klein auf half er meinem Vater begeistert beim Beladen von Bus und Boot, konnte den Tag der Abfahrt kaum erwarten und stürzte sich direkt nach der Ankunft mit Begeisterung in die schwarzen Fluten der Meere, um dort zu schwimmen, zu schnorcheln und mit dem Boot drauf herumzudödeln. Mein Bruder kann die Länder, Ortschaften, Straßen und Campingplätze, an denen er bisher war, alle herunterbeten und mit meinem Vater stundenlang darüber fachsimpeln, wie toll, wie weit, wie heiß, wie urig es da und dort und hier und sonstwo ist, wie lange man dorthin braucht und wer von beiden wie lange mit welchem fahrbaren Untersatz gebraucht hat, um dorthin zu gelangen. Dazu sollte man wissen, dass mein Bruder Nico inzwischen mit Vorliebe auf seiner Harley in den Urlaub fährt und bis auf ein kleines Zelt und ein Messer nicht so arg viel dabeihat. Das verwachsene Struwwelding, das am Ende des Urlaubs zu uns zurückkehrt, hat nur mehr rudimentäre Ähnlichkeit mit der Person, der wir ein paar Wochen zuvor sorgenvoll hinterhergewunken haben.
Das ist das vorläufige Endstadium einer Entwicklung, die sich schon sehr früh abzeichnete. Mein Bruder ist eben in vielerlei Hinsicht meinem Vater sehr ähnlich. Und dass er dadurch meinem Vater natürlich viel näher rückte als ich, versteht sich von selbst. Doch damit nicht genug: Da er auch noch begeistert Rennrad fuhr, war mein kleiner Bruder zu nichts Geringerem prädestiniert, als genau der Sohn zu werden, den mein Vater sich eigentlich schon beim ersten Anlauf gewünscht hatte! Doch da hatte er seltsamerweise diesen stubenhockenden, leseverrückten Legofanatiker bekommen, der sich wochenlang einschließen konnte, um vierundzwanzig Mal pro Filmsekunde kleine Figuren herumzuschieben, damit sie sich auf dem fertigen
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