Das Wahre Kreuz
Augen.
»Du müßtest es wissen, Musâfir. Hast nicht auch du vor vielen Menschenaltern darum gekämpft, das Kreuz in Sicherheit zu bringen? Hast du nicht dein Leben da-für gegeben?«
Seine Augen erschienen mir wie große, dunkle Seen, in die ich eintauchte. Unfähig zu erkennen, was unter der Oberfläche verborgen lag, ließ ich mich ohne Furcht fallen und sank in die Tiefe. Ich vertraute Jussuf, wie ich Ourida vertraute. Etwas zog mich tiefer, immer weiter, in eine längst vergangene Zeit, und ich wollte es, wollte mehr erfahren über den, der ich einmal gewesen war …
18. KAPITEL
Die Hörner von Hattin
rgriffen lauschten meine Ordensbrüder und ich, E der Tempelritter Roland de Giraud, der heiligen Messe, die der Bischof von Akkon und der Bischof von Lydda gemeinsam hielten. Wir knieten im Staub, nahe der Ortschaft Maskana, an der alten Römerstraße nach Tiberias, keinen Tagesmarsch entfernt vom See Genezareth. Hier hatte Jesus Christus, Gottes Sohn, gelebt und gewirkt. Am Nordufer des Sees Genezareth, in dem Fischerdorf Kafarnaum, hatte er Unterkunft im Haus des Petrus gefunden. Es war das Heilige Land, und wir waren hier, um es gegen die Ungläubigen zu verteidigen.
Meine Gedanken wanderten zurück zum Vortag, als die Truppen Saladins unser Heer angegriffen hatten.
Fast zwanzigtausend christliche Ritter, leichte Reiter und Fußsoldaten hatten sich hier versammelt, um in einer großen, vielleicht der entscheidenden Schlacht gegen die Ungläubigen anzutreten. Auch Sultan Saladin hatte ein gewaltiges Heer zusammengezogen – wie groß, das wußten wir nicht. Überall im Umland hielten seine Truppen Dörfer und Anhöhen, Straßen und Was-serstellen besetzt.
Ich betete zu Gott dem Herrn, daß er uns den Sieg schenken möge, aber meine Zuversicht war erschüttert.
Am Vortag um diese Zeit, in den frühen Morgenstun-den, hatte unser Heer sein Lager bei den Quellen von Saffuriya verlassen und war eilends ostwärts gezogen.
Die Nachricht vom Fall der Stadt Tiberias hatte uns aufgeschreckt. Nun galt es, den letzten Verteidigern beizustehen, die sich in der Zitadelle verschanzt hatten.
Unter ihnen befand sich auch Eschiva, die Gemahlin Raimunds III. des Grafen von Tripolis und Landesherrn von Galiläa.
Aber am späten Vormittag, als wir die Ortschaft Tur’an erreichten, griffen die Ungläubigen auf ihre heimtückische Art unsere Marschkolonnen an. Statt sich der offenen Schlacht zu stellen, schickten sie ihre berittenen Bogenschützen vor, die uns mit einem wahren Hagel von todbringenden Pfeilen überschütteten.
Besonders die Nachhut, zu der auch wir Tempelbrüder zählten, hatte unter den Überfällen zu leiden. Rings um mich gingen Männer und Pferde zu Boden, verwundet oder tot. Den Marsch fortzusetzen hätte bedeutet, uns den Überfällen der Bogenschützen schutzlos auszuset-zen.
König Guido von Jerusalem, der Oberbefehlshaber unserer gesamten Streitmacht, änderte den Marschplan.
Uns gegen die Angriffe der feindlichen Reiter mühsam verteidigend, bewegten wir uns in nordöstlicher Richtung auf die Ortschaft Hattin zu. Dort gab es Quellen, die uns das dringend benötigte Wasser liefern konnten.
Und dann, so Guidos Plan, würden wir uns von Hattin aus ostwärts zum See Genezareth durchschlagen, um die Zitadelle von Tiberias zu entsetzen. Aber der Teufel Saladin erriet unseren Plan und schickte eilig Truppen aus, die die Wasserquellen von Hattin vor uns erreichen sollten. Gleichzeitig griff Emir Muzzafar Al Din Gök-böri, der Saladins linken Flügel befehligte, unsere Nachhut so heftig an, daß wir den Vormarsch ein weiteres Mal aufgeben mußten. Unter den Pfeilen der Muslime verendeten so viele Pferde, daß eine immer größere Zahl von Rittern den Kampf zu Fuß fortführen mußte.
Wir Templer, an unserer Seite die Johanniter und viele andere christliche Ritter, kämpften erbittert gegen Gökböris Soldaten. Ich selbst wurde an diesem Tag viermal verwundet, aber ich tötete nicht weniger als fünf Ungläubige zum Wohlgefallen Gottes. Wir kämpften mit schweren Gliedern, staubverklebten Augen und durstigen Kehlen, bis die Nacht gnädig ihr dunkles Tuch über das Schlachtfeld breitete.
Bei dem Ort Maskana hatte König Guido auf Anra-ten Raimunds ein Lager aufschlagen lassen, und hier versuchten wir, neue Kräfte für den nächsten Tag – und die nächste Schlacht – zu sammeln. Trotz meiner Erschöpfung fand ich lange nicht in den Schlaf. Fremdartige Musik drang an meine Ohren. Wollten die
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