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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Hektisch schaufelte sie ihren Besitz wieder in ihre bodenlose Tasche hinein. Schweiß rann zwischen ihren Brüsten hinab. Ihr Vorhaben war wahnsinnig. Sogar ihr Hormonpflaster kapitulierte.
    Â«Hallo?» Sie hörte seine Stimme doppelt, einmal direkt an ihrem Ohr und einmal ein bisschen weiter weg. Sie schaute sich noch einmal um und sah, dass sie direkt vor seinem offenen Schlafzimmerfenster stand. Verlegen lächelnd beendete sie den Anruf und wandte den Blick ab. Jeder, der vorüberging, konnte direkt auf das Bett sehen. Auf ihr Bett. Wenn sie hierherziehen würde.
    Â«Warte, ich mach dir auf», rief der junge Mann, schloss das Fenster und verschwand. Erika wartete vor der Eingangstür, die sie für die richtige hielt. Doch der junge Mann winkte aus der nächsten. «Hey, hallo, hier!» Erika war jetzt schon mutlos und erschöpft. Sie hatte noch nie eine Wohnung gemietet. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun, wie sie sich verhalten sollte. Am liebsten wäre sie wieder umgekehrt. Aber der junge Mann winkte heftig, und so ging sie auf ihn zu, setzte ihr Gastgeberinnenlächeln auf.
    Â«Hallo, ich bin Erika», sagte sie und streckte die Hand aus.
    Â«Mario. Ich bin total froh, dass du hier bist, ich muss der Verwaltung drei Nachmieter angeben, und bis jetzt hat sich niemand gemeldet. Also niemand, den sie akzeptieren würden. Sie sind ziemlich streng, weißt du. Du musst einen Auszug vom Betreibungsamt vorlegen können und ein Depot zahlen, aber dafür ist die Wohnung billig und recht groß für ihren Preis.»
    Nervös weiterredend führte er sie den Treppenhausflur entlang, schloss die Wohnungstür auf, die direkt in ein großes, offenes Wohn-Esszimmer führte. Überall standen die Umzugskisten herum, die Erika schon auf den Bildern gesehen hatte. Einsam stand ein riesiger Flachbildschirm an die Wand gelehnt, davor ein abgewetzter Ledersessel. Sonst nichts.
    Â«Sorry, ich bin mitten im Packen. Ich kann die Wohnung von meinem Bruder übernehmen, der macht eine Weltreise. Manche haben eben Glück!» Sich selber zählte er offenbar nicht zu ihnen.
    Â«Schön hell ist es hier», sagte Erika, wie um ihn zu trösten. «Das hätte ich gar nicht erwartet, im Erdgeschoss.»
    Â«Das sind die großen Fenster. Abends musst du sie halt zumachen, sonst schauen dir alle rein. Aber du musst keine Angst haben, gefährlich ist es hier nicht. Ich weiß, was in den Zeitungen steht. Aber die schreiben immer nur das Schlechte. Als ob hier nur Drogendealer und Kriminelle lebten! Die meisten sind ganz normal. Wenn du dich keiner Bande anschließt, wenn du nicht dealst, hast du keine Probleme.»
    Erika nickte beschämt. Hatte er beobachtet, wie sie ihre Tasche an die Brust drückte?
    Â«Ich würde dir auch die Gardinen überlassen, ich brauche sie nicht mehr.» Er trat zum Fenster und fasste den zarten weißen Stoff an. Die Gardinen wirkten neu. «Die Mutter meiner Freundin hat sie genäht», sagte er. «Also meiner Exfreundin, müsste ich jetzt sagen.»
    Â«Ach – habt ihr euch getrennt? Ziehst du deshalb aus?»
    Er nickte. Erschrocken sah Erika, dass er mit den Tränen kämpfte. Darauf war sie nicht vorbereitet. Solche Situationen kannte sie nicht. Erika konnte – solange sie nichts getrunken hatte – im Halbschlaf anregende Gespräche über beliebige Themen führen, über das Tagesgeschehen, über Kunst, Gespräche, die über bloßen Smalltalk hinausgingen und doch nichts bedeuteten. Doch dass ein Fremder vor ihr weinte, war ihr neu. Noch mehr, dass er ihr die Wahrheit sagte.
    Â«Ich bin auch in Trennung», sagte sie, ohne es zu wollen. Aber was sollte sie sonst sagen? «Ich muss einfach weg. Ich nehm die Wohnung, es ist mir egal, wie sie aussieht.»
    Mario zog die Nase hoch. «Wie meinst du das? Es ist eine schöne Wohnung! Kein Loch!»
    Â«So habe ich es nicht gemeint.»
    Â«Komm, ich zeig dir das Schlafzimmer.» Auf dem Weg dorthin blieben sie in der offenen Wohnküche stehen. Erika öffnete den Kühlschrank, er war leer, bis auf ein paar Dosen Bier. Die Küche war klein, aber gut eingerichtet, ein Induktionsherd, sogar ein Steamer, hochwertige Kästchen.
    Â«Ãœber die Küche kann ich dir nichts sagen, das war Samanthas Bereich», sagte Mario traurig. Er wandte sich ab und öffnete eine Tür am Ende der Küchenzeile, die Erika gar nicht gesehen

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