Das Wahre Spiel 01 - Der Königszug
Gleichgültig, was der Holzfäller gesagt hätte, du hättest an deiner Furcht festgehalten. Die Menschen klammern sich immer an ihre Ängste. Nur die ganz Starken, die Tapferen, die Neugierigen – nur sie können ihre Ängste überwältigen, um im Leben herumstöbern, zu bohren und genau hinzuschauen, was wirklich vorhanden ist …
Prionde glaubt seinen Ängsten. Seine Dämone sagen ihm, daß wir harmlos sind, aber er befürchtet, wir könnten einen Weg entdeckt haben, die Dämone zu narren, einen Weg, die Seher zu umgehen, einen Weg, die Tragamore zu überlisten. Er glaubt seinen Ängsten …«
Dem alten Mann standen Tränen in den Augen, und da sowohl Seidenhand als Windlow tief betrübt waren, blieb Yarrel und mir nichts anderes übrig, als ruhig zu sein und auf den Abend zu warten. Die Soldaten versorgten uns mit Essen und brachten uns Wein und einen Nachttopf, den wir aber nicht brauchten, da in der Mauer des Turms alte Abtritte eingebaut waren, die seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren.
Der Tag verstrich. Wir zündeten die Lampen an und saßen im Abendschein, während über den Glühwürmchen in den Wiesen die Sterne am Himmel erschienen. Wir langweilten uns und wurden immer trauriger. Auf einem alten Tisch in dem Raum, in dem wir uns alle befanden, lag ein Spielbrett, und ich dachte, es könnte die Dinge erträglicher machen, wenn wir ein einfaches Spiel spielten, so wie Chance und ich es in meiner Kindheit getan hatten. Ich zog den Beutel aus meinem Gürtel, auch das kleine Buch, und hatte völlig vergessen, was Himaggery darüber gesagt hatte. Schließlich befand ich mich ja unter Freunden. Chance stürzte sich sofort neugierig darauf, voller Fragen, wo ich das gefunden hätte. Nach einer Weile erhob sich Windlow und tappte mühsam herbei, um auch einen Blick darauf zu werfen, während ich weiter über den alten Keller in den Ruinen erzählte. Etwas in dem Schweigen, das sich plötzlich über den Raum senkte, ließ mich aufblicken, und die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Alle schauten auf Windlow, der am Tisch stand, das Gesicht strahlend, als würde es von innen her beleuchtet. Möglicherweise erzeugte die Lampe diese Wirkung, aber ich glaube es eigentlich nicht. Er strahlte wirklich.
»Didir«, sagte er und berührte den geschnitzten Dämon. Dann hob er den Waffenträger hoch. »Tamor.« Er legte mir eine zitternde Hand auf die Schulter und lehnte sich vor, um den Portierer zu berühren. »Hafnor«, sagte er, »Wafnor«, und legte den Finger auf den Tragamor. Er nannte alle beim Namen. »Sorah, Dealpas, Buinel, Shattnir, Trandilar, Dorn.« Zuletzt nahm er einen der winzigen Gestaltwandler in die Hand und sagte: »Thandbar und seine Verwandten. Wunderbar. Wie uralt und wunderbar.«
Ich murmelte etwas, Seidenhand auch, und der alte Mann bemerkte unsere Verwirrung. »Begreift ihr denn nicht? Das ist Geschichte! Die Elf!«
»Wir haben heute unseren dummen Tag, Meister«, sagte Yarrel. »Wir begreifen nicht, was an diesen elf Figuren besonders sein soll.«
»Nicht an diesen oder jenen elf Figuren, Junge. DIE elf Figuren. Die elf Spieler, von denen in den Religionsbüchern gesprochen wird. Die ersten elf …«
Wir sahen einander an, etwas peinlich berührt, daß wir seine Aufregung nicht teilen konnten. Natürlich wurde in den Religionsbüchern von elf Spielern gesprochen. Natürlich gab es Tausende von Spielfiguren, jede einzelne im Index verzeichnet, jede verschieden. Wieso war es so bedeutsam, daß diese winzigen geschnitzten Figuren die ersten elf darstellten? Während wir Windlow beobachteten, verwandelte sich seine Aufregung in Vorsicht. »Wer weiß davon?« fragte er.
»Nur wir hier«, erwiderte ich, »und Himaggery. Ich zeigte sie ihm und dieses Buch hier auch …« Ich legte den kleinen Band in Windlows Hand, halb in der Hoffnung, es werde ihn von seiner eigenartigen Erregung ablenken, denn er schien sehr verstört. Es hatte aber nicht die gewünschte Wirkung. Eigentlich war es nur ein schmales Glossar, Anweisungen für ein Spiel, wie ich dachte, geschrieben in archaischen Buchstaben, die fast verblichen waren. Ich hatte nicht sonderlich darauf geachtet. Windlow jedoch nahm es, als erhielte er von einem Gott das Geschenk des Lebens. Er betrachtete es genau, öffnete es, strich über die Seiten, hielt es an sein Gesicht, um daran zu riechen. Er blätterte es halb durch und lehnte sich so dicht an die Lampe, daß ich befürchtete, er werde sich verbrennen.
Als er »Das
Weitere Kostenlose Bücher