Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
Bildhauern die Arbeit wegnehmen. Das sind geschulte Männer mit jahrelanger Ausbildung. Wie sollen sie ihre Familien ernähren?«
Auf diesen harschen Tonfall war Stratton nicht gefasst gewesen. »Sie überschätzen meine Fähigkeiten als Nomenklator«, sagte er in dem Versuch, das Gespräch zu entschärfen, doch der Bildhauer blieb verdrießlich. Er fuhr fort: »Die Lernfähigkeit dieser Automaten ist äußerst beschränkt. Sie können zwar mit Formen hantieren, wären aber nie in der Lage, sie zu entwerfen; die wahre Modellierkunst kann nur von Bildhauern ausgeübt werden. Vor unserer Ankunft hatten Sie gerade einige Gesellen angewiesen, wie sie eine große Bronzeskulptur gießen sollten; Automaten könnten niemals derart koordiniert zusammenarbeiten. Sie würden nur Routinearbeiten übernehmen.«
»Was käme wohl für Bildhauer dabei heraus, wenn die Lehrlinge ihre Ausbildung damit verbringen würden, Automaten bei der Arbeit zuzuschauen? Ich werde nicht zulassen, dass Sie aus einem altehrwürdigen Handwerk ein Marionettentheater machen.«
»So etwas würde nicht geschehen«, sagte Stratton, der langsam selbst verärgert war. »Aber überlegen Sie doch, was Sie da gesagt haben: Der Status, den Sie für Ihren Berufsstand erhalten möchten, ist genau der, den die Weber aufgeben mussten. Ich glaube, dass diese Automaten die Würde anderer Berufsstände wiederherstellen könnten, und zwar ohne allzu große Einbußen für Ihren eigenen.«
Willoughby schien ihm nicht zuzuhören. »Allein die Vorstellung, dass Automaten andere Automaten herstellen! Der Vorschlag ist nicht nur beleidigend, er verheißt in meinen Augen nichts Gutes. Wie war das noch in dieser Ballade, in der Besenstiele Eimer mit Wasser tragen und Amok laufen?«
»Sie meinen den ›Zauberlehrling‹?«, fragte Stratton. »Der Vergleich ist völlig abwegig. Diese Automaten sind so weit davon entfernt, sich selbst ohne die Hilfe von Menschen reproduzieren zu können, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll. Eher tanzt ein Bär im Londoner Ballett.«
»Wenn Sie einen Automaten entwickeln wollten, der Ballett tanzen kann, hätte ein solches Unterfangen meine uneingeschränkte Unterstützung. Aber mit diesen fingerfertigen Automaten dürfen Sie nicht weitermachen.«
»Verzeihen Sie, Sir, aber Sie haben mir keine Anweisungen zu erteilen.«
»Ohne die Kooperation der Bildhauer werden Sie nicht viel zustande bringen. Ich werde Moore abrufen und allen anderen Handwerkern verbieten, Sie bei diesem Projekt in irgendeiner Weise zu unterstützen.«
Stratton war vorübergehend aus der Fassung gebracht. »Ihre Reaktion ist irrational.«
»Ich halte sie für vollkommen angemessen.«
»Dann werde ich eben mit Bildhauern einer anderen Manufaktur zusammenarbeiten.«
Willoughby zog die Brauen zusammen. »Ich werde mit dem Vorsitzenden der Bildhauer-Bruderschaft reden und ihm empfehlen, allen unseren Mitgliedern die Herstellung Ihrer Automaten zu untersagen.«
Stratton spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. »Ich lasse mich nicht einschüchtern«, sagte er. »Tun Sie, was Sie wollen, aber Sie können mich nicht am Weitermachen hindern.«
»Ich denke, dieses Gespräch ist beendet.« Willoughby ging zur Tür. »Einen guten Tag, Mr. Stratton.«
»Guten Tag«, erwiderte Stratton hitzig.
Am folgenden Tag machte Stratton seinen mittäglichen Spaziergang durch den Bezirk Lambeth, in dem die Coade-Manufaktur lag. Nach ein paar Häuserblocks blieb er an einem kleinen Markt stehen; manchmal fand man zwischen den Körben voll zappelnder Aale und den Decken, auf denen billige Armbanduhren ausgebreitet waren, auch automatische Puppen, und wie früher als Kind sah Stratton sich immer noch gerne die neuesten Konstruktionen an. Heute fielen ihm zwei neue Boxpuppen auf, die als Forschungsreisender und Eingeborener bemalt waren. Während er sie betrachtete, wetteiferten hausierende Quacksalber um die Aufmerksamkeit eines verschnupften Passanten.
»Wie ich sehe, hat Ihr Gesundheitsamulett Sie im Stich gelassen, Sir«, sagte ein Mann, auf dessen Tisch kleine, eckige Blechdosen aufgereiht standen. »Das Heilmittel für Sie liegt in der Kraft des Magnetismus, konzentriert in Dr. Sedgewicks Polarisierenden Pillen !«
»Unsinn!«, widersprach scharf eine alte Frau. »Was Sie brauchen, ist eine gute Alraunentinktur, da wissen Sie, was Sie haben!« Sie hielt ein Glasröhrchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hoch. »Der Hund war noch nicht einmal kalt, als dieser Extrakt
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