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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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ihr von ihm erzählt. Ich erzählte, dass wir das ganze letzte Jahr zusammen waren, und wie sehr ich ihn geliebt habe, und dass ich wollte, dass wir zusammenbleiben. Aber er wollte seine Freiheit und sich an der Uni auch mit anderen Mädchen treffen. Und da tat sie ganz verwundert: »Soll das heißen, er hat mit dir Schluss gemacht?«
    Ich musste eine Weile bohren, bis sie mir erklärte, was sie damit gemeint hat. Ich musste ihr hoch und heilig versprechen, ich würde nicht sauer sein. Schließlich rückte sie damit heraus, dass Garrett nicht besonders gut aussieht. Ich hatte gedacht, er sähe ganz durchschnittlich aus, denn für mich sah er, auch nachdem meine Calli abgeschaltet war, nicht anders aus als vorher. Aber Ina sagt, er sei definitiv unter Durchschnitt.
    Sie suchte Bilder von anderen Jungs heraus, die ihrer Meinung nach in die gleiche Kategorie gehören wie Garrett, und bei denen fand ich dann auch, dass sie nicht gut aussahen. Ihre Gesichter sahen einfach nur albern aus. Und dann sah ich mir noch einmal Garretts Photo an, und er hat wohl tatsächlich ähnliche Gesichtszüge, aber bei ihm wirkt das niedlich. Wenigstens finde ich das.
    Es stimmt wohl wirklich, was man sagt: Liebe ist ein bisschen wie Calli. Wenn man jemanden liebt, dann sieht man gar nicht, wie derjenige aussieht. Ich sehe Garrett nicht so, wie andere das tun, weil ich immer noch etwas für ihn empfinde.
    Ina sagte, sie könne gar nicht glauben, dass jemand wie er mit jemandem wie mir Schluss machen könnte. Sie meinte, dass er in einer Schule ohne Calli wahrscheinlich nie mit mir zusammengekommen wäre. Wir würden nun mal nicht in derselben Liga spielen.
    Das ist ein merkwürdiger Gedanke. Als Garrett und ich zusammen waren, dachte ich immer, wir seien füreinander bestimmt. Damit meine ich nicht, dass ich an Vorherbestimmung glaube, sondern nur, dass da etwas zwischen uns war. Deswegen kommt mir die Idee, dass wir auf dieselbe Schule gehen, aber nicht zusammenkommen könnten, nur weil wir keine Calli haben, ziemlich merkwürdig vor. Natürlich weiß ich, dass Ina das nicht wirklich wissen kann. Aber ich kann mir eben auch nicht sicher sein, dass sie sich irrt.
    Und wenn das so wäre, dann müsste ich ja sogar froh sein, dass ich Calli hatte, weil das Garrett und mich zusammengebracht hat. Darüber muss ich noch nachdenken.
    Aus einer EduNews-Sendung:
    Die Internetseiten diverser Pro-Calliagnosie-Studentenorganisationen sind heute durch Hackerangriffe zum Absturz gebracht worden. Zwar hat niemand offiziell die Verantwortung dafür übernommen, aber es wird spekuliert, dass dies ein Racheakt für eine Aktion war, bei der vor einem Monat die Website der Amerikanischen Vereinigung Kosmetischer Chirurgen durch eine Calliagnosie-Site ersetzt worden ist.
    Im gleichen Zusammenhang haben die Semiotech Warriors die Verantwortung für die Freisetzung eines neuen Computervirus namens »Dermatologie« übernommen. Dieses Virus breitet sich mit rasender Geschwindigkeit auf Servern weltweit aus und befällt Videodateien. Das Virus verändert die Wiedergabe von Gesichtern und Körpern in den befallenen Dateien, sodass diese mit Verunstaltungen wie Akne oder Krampfadern dargestellt werden.
    Warren Davidson, 1. Semester:
    Ich habe schon auf der Highschool mit dem Gedanken gespielt, Calli auszuprobieren, aber ich wusste nicht, wie ich das meinen Eltern beibringen sollte. Aber weil das hier ganz unverbindlich angeboten wird, habe ich es einfach getestet. (Zuckt mit den Achseln.) Das ist wirklich gut.
    Es ist sogar mehr als das. (Pause.) Ich habe mich nie mit meinem Aussehen anfreunden können. Als ich auf der Highschool war, habe ich es lange Zeit nicht ertragen, mich selbst im Spiegel anzuschauen. Aber mit Calli stört mich das nicht mehr. Ich weiß, ich sehe für andere Leute immer noch genauso aus, aber mich stört das nicht mehr so sehr. Ich fühle mich schon besser, weil ich nicht mehr immerzu vor Augen habe, dass einige Menschen so viel besser aussehen als andere. Nur ein Beispiel: Ich habe da diesem Mädchen in der Bibliothek bei ihren Matheaufgaben geholfen, und erst danach ist mir eingefallen, dass ich die vorher immer wirklich hübsch fand. Normalerweise wäre ich ihr gegenüber ausgesprochen nervös gewesen, aber mit Calli war das alles gar kein Problem.
    Vielleicht meint sie ja, dass ich wie ein Freak aussehe, ich weiß es nicht. Aber es ist nun mal so, als ich mit ihr geredet habe, da habe ich nicht gedacht, dass ich wie ein Freak aussehe. Ich

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