Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
vorzustellen, dass er richtig nett sein muss! Ich wusste nichts über ihn, ich konnte nicht einmal hören, worüber er gerade redete, aber ich wollte ihn kennenlernen. Es war irgendwie merkwürdig, aber wirklich schön.
Aus einer EduNews-Sendung im Zentralen Amerikanischen Universitätsrundfunk:
Die neuesten Nachrichten über die studentische Calliagnosie-Initiative an der Universität von Pembleton: EduNews liegen Beweise vor, dass die Werbeagentur Wyatt/Hayes vier Studenten vor Ort dafür bezahlt hat, ihre Kommilitonen zu überzeugen, gegen die Initiative zu stimmen, ohne dass diese vier ihren Lobbyistenstatus öffentlich gemacht hätten. Unter anderem liegt uns ein internes Memo von Wyatt/Hayes vor, in dem vorgeschlagen wird, zu diesem Zweck »gutaussehende Studenten mit hoher Beliebtheit« auszuwählen, sowie die Belege für die Zahlungen der Agentur an die betreffenden Studenten.
Die Unterlagen wurden uns von den SemioTech Warriors überlassen, einer kulturkritischen Gruppierung, die schon durch zahlreiche medienkritische Aktionen in Erscheinung getreten ist.
Wyatt/Hayes hat auf diese Enthüllung nur mit einer Presseerklärung reagiert, in der scharf gegen das illegale Eindringen in das interne Computernetzwerk der Firma protestiert wird.
Jeff Winthrop:
Es stimmt, ich wurde von Wyatt/Hayes bezahlt, aber ich habe mich nicht kaufen lassen; mir wurde nie vorgeschrieben, was ich zu sagen hätte. Sie haben mir nur ermöglicht, der Anti-Calli-Kampagne mehr Zeit zu widmen, was ich sonst auch getan hätte, wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre, mit Nachhilfestunden Geld dazuzuverdienen. Ich habe nicht mehr getan, als nur meine ureigenste Meinung zu sagen: Ich halte Calli für den falschen Weg.
Ein paar Leute in der Anti-Calli-Bewegung haben mich gebeten, mich zu dem Thema nicht mehr zu äußern, weil sie glauben, das würde der Sache schaden. Es tut mir leid, dass sie diesen Eindruck haben, denn hier wird doch nur versucht, Stimmung zu machen. Wenn Sie meine Argumente vorher für vernünftig gehalten haben, sollte das daran nichts ändern. Aber ich verstehe, dass einige Leute diesen Unterschied nicht begreifen, und ich werde tun, was für die Sache am besten ist.
Maria deSouza:
Diese Studenten hätten auf jeden Fall öffentlich machen sollen, für wen sie Lobbyarbeit leisten. Wir alle kennen Leute, die sich zum Sprachrohr bestimmter Organisationen machen. Aber jetzt wird jeder, der die Initiative kritisiert, sofort gefragt, ob er dafür Geld bekommt. Das schadet der Anti-Calli-Kampagne natürlich ungemein.
Dabei betrachte ich es als Kompliment, dass unsere Initiative als wichtig genug erachtet wird, um mit Hilfe einer Public-Relations-Firma dagegen vorzugehen. Wir hatten immer gehofft, dass es für die Schüler anderer Schulen oder Universitäten Beispielcharakter bekommt, wenn wir diese Resolution durchbringen. Dieses Vorkommnis zeigt, dass gewisse Konzerne das auch glauben.
Wir haben den Präsidenten der Nationalen Calliagnosie-Vereinigung gebeten, auf dem Campus eine Rede zu halten. Bisher hatten wir gezögert, die auf nationaler Ebene arbeitenden Gruppen einzuschalten, weil diese anders an die Sache herangehen; sie konzentrieren sich mehr auf die Art, wie die Medien mit Schönheit umgehen, während wir hier bei SAG in erster Linie an Gleichstellungsfragen interessiert sind. Aber so, wie die Studenten auf das Vorgehen von Wyatt/Hayes reagiert haben, ist deutlich geworden, dass diese Medienmanipulations-Thematik uns genau dahin führt, wohin wir wollen. Unsere besten Chancen, die Resolution durchzubringen, liegen darin, dass wir uns den Ärger über manipulative Werbung zunutze machen. Die Gleichstellungsfragen folgen dann später.
Auszug aus einer Rede von Walter Lambert, Präsident der Nationalen Calliagnosie-Vereinigung, in Pembleton:
Nehmen wir zum Beispiel Kokain. In seiner natürlichen Form, als Kokablätter, ist es anregend, aber nicht in einem Maß, dass es zu einem Problem wird. Aber wenn es weiterverarbeitet und konzentriert wird, dann erhält man eine Substanz, die mit künstlich gesteigerter Intensität auf das Lustzentrum wirkt. Und das macht süchtig.
Durch die Werbeschaffenden hat Schönheit einen ähnlichen Prozess durchlaufen. Die Evolution hat uns mit einer Hirnfunktion ausgestattet, die auf gutes Aussehen reagiert – eine Art Lustempfänger in unserem Sehzentrum –, und in unserer natürlichen Umgebung war das auch eine nützliche Errungenschaft. Aber wenn man eine Person mit
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