Das war eine schöne Reise
Lobedanz beugte sich tief über seinen Teller und würgte die Ravioli hinunter. Die hanebüchene Unverfrorenheit, mit der dieses Mädchen log, verschlug ihm den Atem, aber fast noch atemberaubender war der Einfall, mit dem sie seine Mutter einwickelte.
»Na, was ist, Otto?« sagte seine Mutter und gab ihm einen kleinen Renner, »willst du Fräulein Sonntag nicht antworten?!«
»Ich weiß ja nicht, was du vorhast...«, murmelte er.
»Selbstverständlich wirst du dem armen Mädchen Gesellschaft leisten! Ich bin ohnehin todmüde und gehe gleich nach dem Essen zu Bett.«
»Also schön«, sagte er schulterzuckend, »wenn du es durchaus haben willst... Mir ist es recht.«
»Mir fällt ein Stein vom Herzen«, sagte Fräulein Sonntag mit einem dankbaren Augenaufschlag, »aber ich habe es fast gewußt, daß Sie kein Spielverderber sind. Und Sie werden es auch ganz gewiß nicht zu bereuen haben. Es sind lauter nette Leute, mit denen ich Sie zusammenbringe, zwei verlobte Paare, ein Drogist und ein Optiker mit ihren Bräuten, und Monika mit ihrem Bruder. Er ist übrigens Lehrer; ein blitzgescheiter Mann und ein guter Tänzer...«
»Wann wollen Sie sich denn mit Ihren Freunden treffen?«
»Erst um neun. Ich muß mich doch ein wenig hübsch machen...«
»Für den Lehrer?« fragte Herr Schnürchen zwinkernd.
Otto Lobedanz hätte wetten mögen, daß er den ganzen frechen Schwindel durchschaute.
Man blieb nach dem Essen noch ein Weilchen beim Wein Sitten, und Otto Lobedanz sorgte dafür, daß seine Mutter beim Wein nicht zu kurz kam. Zuerst verabschiedete sich Fräulein Lenz, >um noch ein paar Ansichtskarten zu schreiben und in den Briefkasten zu werfen<. Dann ging Fräulein Sonntag, um sich für den Abend umzukleiden. Und schließlich verließ auch Herr Blumm den Tisch.
»Wahrscheinlich will er auch noch ein paar Ansichten von Rimini nach Hause schicken«, sagte Frau Lobedanz zwinkernd und entlockte dem Rand ihres Glases mit der angefeuchteten Spitze des Zeigefingers einen zirpenden Ton, »merken Sie was, Herr Schnürchen?«
Er antwortete nicht, aber er gab das Zwinkern zurück — und an Otto Lobedanz weiter: »Na, wie ist das mit Ihnen, Herr Lobedanz, wollen Sie sich für den Abend nicht auch noch ein wenig fein machen?«
Frau Lobedanz gab ihrem Sohn einen kleinen Ermunterungsstoß: »Nun mach schon zu, Otto! Die Uhr geht auf neun. Zieh die blaue Jacke an und vergiß nicht, dir einen Schlips umzubinden! Und sei nett zu dem armen Mädchen, hörst du?«
»Jaja...«, knurrte er mit einem Gesicht, als sei es sein Schicksal, als Lückenbüßer einzuspringen. Frau Lobedanz schaute ihm mit einem Blick voll zärtlichen Stolzes nach.
»Sie müssen sehr glücklich sein, solch einen liebenswerten Sohn zu haben, Frau Lobedanz...«
»Ja, Herr Schnürchen, das bin ich auch. Und er ist wirklich ein guter Junge...« Sie rückte mit ihrem Stuhl ein wenig näher an
Herrn Schnürchen heran, »und ich glaube, um den brauche ich mir keine Sorgen zu machen.«
»Ich verstehe nicht recht, was Sie meinen...«
»Nun ja«, seufzte Frau Lobedanz, »man ist ja modern, man ist ja nicht von gestern — oder, man versucht wenigstens mit der Zeit zu gehen... Aber dieses Rimini! Was sich hier an Weibern herumtreibt und vor allem, wie sie sich herumtreiben! Dagegen war die Eva im Paradies mit ihrem Feigenblatt ja direkt komplett angezogen! Und das poussiert und knutscht ungeniert am Strande herum...«
»Nun übertreiben Sie aber...!«
»Ha! Was ich gesehen habe, habe ich gesehen, mir langt es jedenfalls! Und wenn ich allein wäre, würde ich die Koffer packen. Was sich hier abspielt, das ist der reine Heiratsmarkt! Und das ist noch sehr gelinde ausgedrückt...«
»Die jungen Leute suchen sich und finden sich, und ob sie sich in Stuttgart und Frankfurt oder hier finden, ich sehe da keinen großen Unterschied...«
»Sie haben eben keinen Sohn, Herr Schnürchen!«
»Leider nicht —, aber wenn ich einen Sohn im Alter Ihres Jungen hätte, würde ich die Zügel wahrscheinlich etwas lockerer halten...«
»Aber ich bitte Sie! Mein Otto kann doch tun und lassen, was er will.«
»Dann verstehe ich erst recht nicht, warum Sie sich eigentlich Sorgen machen. Und so wie ich Sie kenne — flüchtig genug, aber schließlich genügt dazu ja schon der erste Eindruck —, gehören Sie doch nicht zu jener Sorte von egoistischen Müttern, die ihre Söhne am liebsten am Rockzipfel halten möchten, bis sie als Junggesellen alt und grau und so eigenbrötlerisch
Weitere Kostenlose Bücher