Das war eine schöne Reise
geworden sind, daß sie überhaupt keine Chance mehr haben, eine Frau zu finden, die es mit solch einem eckigen Kerl aufnehmen möchte. In der Ehe gibt es genug Reibereien, aber abschleifen und abgeschliffen werden kann man nur, solange die Ecken und Kanten noch nicht allzu hart geworden sind. Wie alt waren Sie eigentlich, als Sie heirateten? Sie müssen doch noch sehr jung gewesen sein...«
»Ich war neunzehn...« antwortete Frau Lobedanz mit einem kleinen Schnupfer, der sich anhörte, als unterdrücke sie aufsteigende Tränen.
»Und wie alt war Ihr Gatte?«
»Sechsundzwanzig...Aber wir waren doch, wenn ich es recht bedenke, viel reifer als die jungen Menschen von heute...«
»Meinen Sie?«
»Ja, das will ich meinen! Damit will ich natürlich nicht sagen, daß wir Trantüten waren, beileibe nicht! Aber so was von Amüsiersucht wie bei den jungen Leuten von heute war bei uns nicht drin. Bei mir jedenfalls bestimmt nicht!«
Herr Schnürchen bewältigte eine kleine Kopfrechnung: »Wenn ich mich nicht irre, war damals Krieg, und da dürfte es nicht allzu viele Möglichkeiten zum Amüsement gegeben haben...«
»Davon rede ich auch nicht«, sagte Frau Lobedanz, leicht aus dem Konzept gebracht, »ich meine, diese Vergnügungssucht lag nicht in unserem Charakter. Sehen Sie sich doch nur einmal ein Mädchen wie dieses Fräulein Sonntag an!«
»Finden Sie die so vergnügungssüchtig?« fragte Herr Schnürchen mit gesträubten Brauen.
»Na, hören Sie! Wenn sich solch ein junges Ding schon allein in der Welt herumtreibt! Und da soll mir bei dem Gedanken, mein Otto könnte mir so was ins Haus schleppen, nicht die Angst die Kehle zuschnüren?«
»Pssst!« machte Herr Schnürchen und hob den Finger warnend vor die Lippen, denn Fräulein Sonntag näherte sich dem Tisch, und auch Otto Lobedanz kam aus dem Schatten des Treppenhauses heran, um sich von seiner Mutter zu verabschieden.
Die Augen von Frau Lobedanz glitten hurtig über Fräulein Sonntag hin, von der Frisur zu den hochhackigen Pumps und wieder von unten nach oben. Sie hatte das Haar zu einem kunstvollen Knoten hochgesteckt und die Ohrläppchen mit weißen Clips geschmückt. Das Abendkleidchen, hauteng und an der Seite geschlitzt, hatte den matten Glanz schwerer Seide, auf rotem Grund rankten sich darin sattgrüne, stilisierte Rosenblätter. Frau Lobedanz juckte es, einen Zipfel des Stoffes zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben.
»Wie hübsch Sie sich hergerichtet haben, Fräulein Sonntag«, sagte sie zuckersüß, »und dieses reizende Kleid, zum Verlieben! Darf ich mal?« Und schon hatte sie den Stoff im Griff, »wahrhaftig, reine Seide! Na, da kostet doch der Meter einfach breit mindestens...«
Für einen Moment war Fräulein Sonntag drauf und dran, das Kleid als selbstgeschneidert zu deklarieren, aber für das Kennerauge von Frau Lobedanz war das doch zu gefährlich.
»Sie werden lachen, ich habe das Fähnchen im Inventurausverkauf erwischt. Neunundfünfzig Mark neunzig...«
»Ein bißchen sehr knapp ist es ja«, meinte Frau Lobedanz nicht mehr ganz so süß, »aber das ist ja heute Mode.« Und sie wandte sich ihrem Otto zu: »Laß dich einmal anschauen!«
»Soll ich mich vielleicht auch noch drehen?« fragte er einiger-, maßen nervös.
»Ach, wissen Sie«, sagte Frau Lobedanz zu Herrn Schnürchen, der schmunzelnd dabeisaß, »mein Otto schwebt ja auch immer so ein bißchen in höheren Regionen. Der kriegt es glatt fertig, mit einem schwarzen und mit einem braunen Schuh auszugehen. Er liest einfach zu viel, und nicht nur so Romane, sondern hoch wissenschaftliche Bücher, von Ausgrabungen und überhaupt so von den ollen Griechen und Römern, er ist eben so mehr ein Gelehrter...«
Otto Lobedanz stand wie auf glühenden Kohlen, und es war Herr Schnürchen, der ihn erlöste, indem er einen Blick auf seine Uhr warf und die jungen Leute darauf aufmerksam machte, daß sie die Zeit ihrer Verabredung mit den Freunden längst überschritten hatten. Sie verabschiedeten sich rasch und gingen in gebührlichem Abstand voneinander entfernt durch den Schwibbogen auf die Straße. Es dunkelte bereits, die Bogenlampen brannten schon, aber sie hingen so hoch, daß die Platanen auf den Gehweg Schatten warfen. Fünfzig Schritte von der Villa Annabella entfernt hängte sich Fräulein Sonntag lachend in Otto Lobedanz’ Arm.
»Na, wie habe ich das gemacht, Ottle?« fragte sie und drückte seinen Ellenbogen für einen Augenblick fester an sich.
»Großartig...«, sagte
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