Das war eine schöne Reise
Alvensleben schien nichts erreicht zu haben, denn soviel konnte er auch ohne Brille erken- Í nen, daß das Telegramm aus dürftigen zehn Worten bestand. Aber sein Gesicht erhellte sich wieder, als er die Brille aufsetzte und den kurzen Telegrammtext las: EIN ROMAN VON TAUSEND WORTEN STOP ERWARTE ANRUF GRUSS ALVENSLEBEN.
Herr Schnürchen spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff, ging zum Schalter für Ferngespräche hinüber und meldete ein dringendes Gespräch nach Deutschland an. Vorsichtshalber hatte er seinen Pirandello mitgenommen, so daß er sich die Zeit mit einer amüsanten Lektüre vertreiben konnte. Mitten in der an! Situationskomik unübertrefflichen Geschichte von der »Idealen Ehe« eines Liliputaners mit einer Riesendame wurde er zum Apparat gerufen. Wieder nahm eine Vorzimmerdame das Gespräch an, die ihn, nachdem er seinen Namen genannt hatte, mit Herrn Alvensleben verband, ohne daß er diesen Wunsch erst zu äußern brauchte.
»Guten Tag, Herr Alvensleben, wie geht’s?«
Er vernahm einen mißmutigen Knurrton und die Gegenfrage, wie es ihm gehe und was das Wetter in Italien mache.
»Sonne — Sonne — Sonne...«
»Was ist das, Herr Schnürchen?«
»Eine runde, strahlende Scheibe, die über den Himmel wandert, über einen blauen, strahlenden Himmel...«
»Was Sie nicht sagen! Ich habe mich hier bei alten Leuten erkundigt, aber nur wenige konnten mir das runde Ding beschreiben, und nur einer erinnerte sich dunkel daran, daß man es Sonne genannt hat.«
»Also kommen Sie her und schauen Sie es sich an.«
»Dazu müßten Sie erst hier sein, Herr Schnürchen. Aber ich nehme ohnehin an, daß Sie von dieser Art von Urlaubsfreuden bald genug haben werden...«
»Wie kommen Sie darauf, Alvensleben? Es ist der herrlichste Urlaub, den ich jemals genossen habe, und ich denke schon jetzt mit Bedauern an sein Ende.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst...?«
»Und ob das mein Ernst ist! — Edel sei der Mensch, hilfreich und gut... Nun, Alvensleben, von wem ist das?«
Er hörte ein Räuspern im Apparat und hatte Phantasie genug, um sich das Gesicht von Herrn Alvensleben vorzustellen, der in diesem Augenblick fraglos der Meinung war, daß die Sonne von Rimini ihm doch ein wenig geschadet habe.
»Seltsame Frage, Herr Schnürchen..., von Goethe natürlich.«
»Aha! Im Zweifelsfalle immer Goethe...Aber Sie liegen völlig daneben. Stammt nämlich von Otto Lobedanz! Jedenfalls ist das die Meinung seiner Mutter. Ach, lieber Alvensleben, Sie ahnen nicht, was ich hier täglich und stündlich erlebe! Ich fühle mich um zwanzig Jahre verjüngt, was sage ich? Ich fühle mich, als ob ich gestern zwanzig geworden wäre! Ich stifte Ehen und verdiene mir täglich einen prachtvollen Kuppelpelz. Ich bin zum ständigen Begleiter zweier vollreifer Witwen avanciert, von denen ich eine aus den Klauen eines etwas überalterten Papagallo erretten konnte. Dafür werde ich mit Kaffee und Apfelkuchen mit Schlagrahm traktiert, und nicht etwa uffjefordert, wie der selige Pütterich in seiner witzigen Art zu sagen pflegte, sondern injeladen!«
»Pütterich — Pütterich? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor...«
»Pütterichs Kunstblumen!«
»Ach, du lieber Himmel! Natürlich, jetzt erinnere ich mich. Es ist noch kein Jahr her, daß sie bei mir hereinrauschte und mich anfauchte, ob es hier zu den Usancen gehöre, Witwen den Hals abzuschneiden...«
»Unausdenkbar, wenn Sie es getan hätten! Sie hat mir gestern heimlich einen Fünfzigmarkschein in die Tasche geschoben.«
»Nein!!« schrie Herr Alvensleben.
»Doch!« antwortete Herr Schnürchen ernst und ließ sich die Erschütterung auch stimmlich anmerken. »Jedenfalls stehe ich hoch in der Gunst der älteren Damen, genieße das Vertrauen der Jugend, und spiele nebenbei Nat Pinkerton, den König der Detektive...Kennen Sie die Schmökerserie noch? Nat Pinkerton und
Lord Percy Stuart vom Excentric-Club waren die Helden meiner Jugend...«
»Kenne ich nicht mehr, meine Helden hießen Frank Allan, der Rächer der Enterbten, und Heinz Brand, der Fremdenlegionär. Aber da wir gerade bei den Detektiven sind...«
»Ihre Oberleitungen habe ich schon immer bewundert, Alvensleben...Also schießen Sie schon los! Ich bin richtig gespannt auf das, was Sie zu vermelden haben. Besonders deshalb, weil der junge Mann vor wenigen Tagen das Opfer einer Bande von Leichenfledderern geworden ist. Er wurde von zwei Frauenzimmern eingeseift, und zwei Banditen haben ihn später
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