Das War Ich Nicht
grämte ich mich nicht mehr, dass er mich versetzt hatte. Dieser Ort war viel besser für unser Treffen. Nahezu perfekt. Nirgendwo konnte ich ihn so unkompliziert ansprechen wie hier. Warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Eine Erklärung dafür, dass ich meine kompletten Bankunterlagen auf einen Spaziergang ins Palmenhaus mitnahm, würde sich finden. Er näherte sich der Manila-Palme. Ich beschleunigte meine Schritte, während er langsamer wurde, die Bank erreichte und sich setzte. Auf mein romantisches Leitmotiv. Ich krallte mich an meinen Kontodaten fest. Da saß er. Hier kam ich.
Leise gab ich Laute von mir, um zu prüfen, ob meine Stimme überhaupt funktionierte: Mh, oh, ah, die lateinische Bezeichnung der Manila-Palme fiel mir ein: Adonidia merrillii. Nur noch eine kanarische Dattelpalme trennte uns voneinander, ich wollte schon so etwas sagen wie »Ach, Sie hier?«, da kam eine Frau aus den Farnen. Ohne sie auch nur anzusehen, sprang ich zurück, in den Schutz der Dattelpalme. Jasper stand auf. Stand nun zwischen mir und der Frau, schien ihr die Hand zu geben, dann holte er etwas aus seiner Tasche, das sah ich noch, dann fuhr ich herum und rannte so schnell ich konnte.
Es gibt nichts Würdeloseres als rennende Männer im Mantel. Und das in meinem Alter. Es war mir egal. Genauso, wie ich Jasper anscheinend egal war. Ich lief vorbei an dem Ort, wo einst das Lagerhaus gestanden hatte, in dem Al Capones Killer am 14. Februar 1929, als Polizisten verkleidet, sieben Gegner umgenietet hatten. Das Valentinstag-Massaker.
Plötzlich fühlte mein Kopf sich an, als wäre er leer; es funkelte vor meinen Augen, bis sich von den Rändern meines Blickfelds zur Mitte hin Finsternis ausbreitete. Ich musste langsamer laufen, denn ich bekam keine Luft mehr - im Vital City Spa konnte ich eine Dreiviertelstunde auf dem Cardiotrainer strampeln, im wirklichen Leben reichte es nicht einmal mehr für die North Clark Street. Meine Bronchien zogen sich zusammen wie gefriergetrocknet. Es hatte wieder angefangen zu schneien, der Schnee schmolz in meinen Haaren und tropfte mir ins Gesicht, und zum ersten Mal in meinem Leben kam mir Chicago wirklich kalt vor, ekelhaft kalt. Ich wischte mir die Wassertropfen von der Stirn und bemerkte erst danach, dass ich dazu die Serviette aus dem Caribou genommen hatte, auf der Jaspers Telefonnummer stand. Nun war sie nicht mehr lesbar.
Gerade noch rechtzeitig erreichte ich eine Bank an der Ecke zur Wisconsin Street, fegte nicht einmal den Schnee von den grün lackierten Holzlatten, musste mich meinem Alter geschlagen geben, setzte mich einfach hin, vornübergebeugt, und hielt die Hände vor die Augen.
Wann war mein Leben eigentlich so entgleist? Wahrscheinlich hatte es bereits vor einem Jahr begonnen, als ich in der BBC-Talkshow gewesen war. Natürlich hatte ich gewusst, dass Elton John zusammen mit mir dort sein würde, in der Talkshow von Stephen Fry. Ich kannte Elton John, hatte einmal mit ihm einen Gastauftritt in Absolutely Fabulous gehabt, und Stephen Fry kannte ich ohnehin, sodass ich ohne den leisesten Anflug von Nervosität in London aus dem Flugzeug stieg und zwei Tage in der Stadt herumlief, ohne auch nur daran zu denken - warum auch, so oft wie ich solche Fernsehauftritte schon absolviert hatte. Als ich jedoch eine Stunde vor der Sendung aus der Maske kam und in einem Aufenthaltsraum mit ein paar Bagels, Muffins und einem Obstteller saß, wurde ich auf eine geradezu schulmädchenhafte Weise hibbelig. Stephen Fry. Elton John! Meine Stimme zitterte, und als ich noch mal in die Maske ging, damit der Visagist meine, wie mir schien, vor Schweiß triefende Stirn trockenlegte, auch meine Knie. Was hatte ich diesen beiden witzigen, geistreichen TV-Profis entgegenzusetzen? Ich kam mir vor wie ein verklemmter Schreiberling, ein dummer Amerikaner; hoffentlich ist Stromausfall und niemand sieht sich diese Sendung an, dachte ich, als ich längst begonnen hatte, Weißwein zu trinken. Ein klitzekleines Gläschen, dann noch eins.
Als die Live-Sendung begann, geisterte nur noch der Spruch Step away from the Chardonnay in meinem Kopf herum. Elton John erzählte hinreißende Geschichten über seine Auftritte, verkleidet als Marie Antoinette, mit turmhoher Perücke, über die Probleme, sich als Donald Duck verkleidet mit enormem Entenhintern auf den Klavierhocker setzen zu müssen. Alle lachten, ich sagte wenig. Als mir endlich etwas Witziges einfiel, wurde Elton John plötzlich ernst. Erzählte von
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