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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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dort alles zu besprechen? Zu spät. Wie oft hatte man ein Recht auf ein Treffen mit seinem Anlageberater? Ein Mal pro Halbjahr? Jedes, wie hieß das noch gleich, Quartal? Ich sah mich um, blickte an den glatten Fassaden der Büroklötze hinauf. Dann sah ich in den Fluss, auf das Wasser, die Möwen, die dümpelnden Eisbrocken.
    Jedes Mal, wenn ich einen Balkon oder eine Brücke betrat, kam es wie ein Reflex über mich: Ich verspürte den Drang zu springen - eine fixe Idee. Wenn Selbstmord nur nicht so etwas Abgeschmacktes hätte: Hemingway, Kurt Cobain und ihre blöden Flinten. Außerdem hatte ich noch nie gehört, dass es jemandem gelungen wäre, sich im Chicago River zu ersäufen. Der war viel zu schmal; die Feuerwehr würde einen selbst im Winter schnell genug raus holen, und vorher würden einem Passanten diese quietschorangefarbenen Bojen und Rettungsringe an den Kopf werfen, die auf allen Brücken hingen. Nein, als echter Chicagoer müsste man in den Michigansee gehen oder sich vom Sears Tower stürzen. Aber ich hatte ja ohnehin nicht ernsthaft vor, mich umzubringen.
    Vielleicht tat es mir gut, im Walnut Room einen Kaffee zu trinken. Da es inzwischen ziemlich stark schneite, beschloss ich, mich auf der unteren Straßenebene des Wacker Drive in Richtung State Street durchzukämpfen. Von dort wäre es nicht mehr weit.
    Ich ging zurück zum Anfang der Brücke und nahm die Treppe nach unten, wechselte vom oberen auf den unteren Wacker Drive. Dass ich nach wenigen Stufen schnelle Schritte hörte, die hinter mir langsamer wurden, obwohl ich ganz am Rand ging, hielt ich für Zufall. Dann spürte ich, wie eine Hand mich am Oberarm packte. Sie umfasste ihn ganz, so groß war sie. Ich fuhr herum und sah in das Gesicht eines Mannes, der ein Business-Outfit ähnlich dem Meinen trug. Auch nachdem er mich gepackt hatte, ging er weiterhin etwas schneller als ich. Umfasste meinen Oberarm so fest, dass es nun wirklich nicht mehr höflich war und ich keine andere Wahl hatte, als hinterherzustolpern.
    »Nun, Mr. Santos«, sagte er. Ich musste den Kopf heben, um in sein Gesicht zu sehen, das erstaunlich ausdruckslos war, als hätte er gerade beim Zahnarzt auf jeder Seite eine Betäubungsspritze bekommen, sodass ihm seine Wangen wie Fremdkörper vorkamen. »Wie Sie sicher wissen, haben wir einiges zu besprechen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich gebe zu, es hat gedauert, bis ich Ihren Account entdeckt habe. Länger als es sollte. Aber nun habe ich alles gesehen. Ludemann verwaltet da ganz schön viel Geld für Sie.«
    »Für mich?«
    »Mr. Santos, wir sollten offen sprechen. Wir bei Rutherford & Gold legen wert darauf, unsere Kunden kennenzulemen. Das gehört bei uns zum persönlichen Service. Gerade bei Kunden, die aus dem Nichts auftauchen und in kürzester Zeit hohe Millionenbeträge investieren.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte ich. Seine Lippen verzogen sich zu einer Art Grinsen. »Ludemann hat Sie gut gebrieft, wie ich sehe.« »Lüdemann?«, sagte ich.
    »Sage ich doch.« Inzwischen hatten wir die untere Ebene des Wacker Drive erreicht. Auf dem schmalen Streifen Bürgersteig, der den Fuß der Treppe vom Verkehr trennte, blieb er stehen, schob mich ein bisschen zu nah an die Straße, riss mich dann zurück, kurz bevor ein Lastwagen an uns vorbeidonnerte. Ich versuchte, meinen Arm aus seinem Griff zu winden, doch er drückte noch stärker zu, zwischen meine Muskeln, direkt auf den Knochen. Langsam tat es weh.
    »Ludemann denkt, keiner merkt was von den Long-Straddle-Geschäften, die er mit Ihrem Geld macht.« »Long-Straddle-was?«
    »Und ich muss sagen, es hat mich überrascht, was für ein gutes Händchen dieser kleine Dummkopf hat. Ich weiß zwar nicht, woher Sie dieses Geld haben, aber Ihre Gewinne können sich sehen lassen. Sonst hätte ich ihn längst gefeuert. Doch jetzt ist Schluss.«
    »Aber Jasper ist nur mein Bankberater«, sagte ich, versuchte, gleichzeitig ihn und den Verkehr im Auge zu behalten. Und zumindest einen Bruchteil davon zu begreifen, was dieser Mann sagte.
    »Und ich bin der Kaiser von China«, sagte er, jetzt ohne jegliche Art von Lächeln. »Als ich Ludemann vorhin seinen Bonus-Scheck gab, habe ich gemerkt, er ist am Ende. Total durch. Er hatte es so eilig, aus meinem Büro rauszukommen, da bin ich ihm gefolgt. Ins Caribou. Ich habe Sie beobachtet. Durch das Fenster. Und als ich gesehen habe, wie Sie ihm die Mappe mit unserem Logo gegeben haben, war alles klar. Sie sind Graham Santos,

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