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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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»Wahrscheinlich nichts«, sagte ich. »Wahrscheinlich?«
    »Wir haben da ein kleines Problem verursacht. In der Bank. An unserem Desk. In unserem Team. Meinem Team. Also ich.« »Was denn für ein kleines Problem?«
    »Ich würde gerne nach Deutschland kommen. Für ein paar Tage. Ausspannen«, schaffte ich noch zu sagen, bevor ich auflegen musste. Ich wollte nicht weinen.
    Ich fuhr nach Hause und packte meine Sachen. Alles, was ich mitnehmen wollte, passte in eine Sporttasche.
    HENRY
    Ich, Henry LaMarck, wohnhaft im Estana Hotel & Spa Chicago, Suite 33°3, verfüge hiermit für den Fall meines Todes Folgendes.
    Ich strich das Letzte und ersetzte es durch: verfüge für den Fall meines Todes folgenden letzten Willen. Das klang zwar schief, aber auch irgendwie testamentiger. Ich saß in der Badewanne, ein Zimmerservice-Tablett balancierte über den Rändern, darauf der Hotel-Kugelschreiber und das Briefpapier mit dem Logo, der Adresse und dem Zusatz: Der Absender ist Gast im Hotel. In der Bibel hatten sie das so ausgedrückt: Wir haben hier keine bleibende Stadt.
    Mein Vermögen, abzüglich aller Schulden - ich ersetzte Schulden durch Verbindlichkeiten - und Kosten für die Beerdigung, nein:
    Trauerfeier, Beisetzung, egal, ... soll für den Erhalt und Ausbau des Palmenhauses im Lincoln Park Conservatory, Chicago, aufgewendet werden, unter der Bedingung, dass es dafür seinen Namen in Henry LaMarck Palmenhaus ändert. Außerdem will ich eingeäschert, nein, verbrannt werden. Meine Asche soll auf einem Frauenbeachvolleyballfeld verstreut werden.
    Ich hatte lange nach einer besonders sinnhaften Art des Begrabenwerdens gesucht, dann war mir wenigstens etwas eingefallen, das überhaupt keinen Sinn ergab. Da waren alle Dinge drin, mit denen ich nie etwas am Hut gehabt hatte: Strand, Mannschaftssport und Frauen.
    Ich stieg aus der Wanne und trocknete mich ab. Dann tauchte ich einen Finger ins Badewasser, befeuchtete einen Hotelbriefumschlag und verschloss ihn. Das ablaufende Badewasser gurgelte, plätscherte, dann Stille. Ich sah mich an. Meinen Körper, die grauen Haare. Ich streckte den Bauch raus, ließ meine Halswirbelsäule nach vorne sacken, stülpte die Lippen über die Zähne, zitterte mit den Fingern. Das war die Zukunft. Ich blätterte das Bibelzitat in der Hotelbibel nach: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
    Nun hatte ich mein Testament gemacht, und dass es sich als so einfach erwiesen hatte, zeigte mir erneut, wie einsam ich war. Ich wollte es in die Minibar legen, da fiel mir der Notfallumschlag entgegen. Ich hielt ihn in der Hand. Rot. NOTFALL.
    Schon der diskrete Klang des ausländischen Freizeichens beruhigte mich.
    »Hallo?«, sagte jemand. »Hallo.«
    »Henry LaMarck?« »Elton John?«
    »Wie schön. Bist du in London?« »Nein. Chicago.«
    »Chicago.« Die Enttäuschung in seiner Stimme schmeichelte mir.
    »Habe ich dich geweckt?«
    »Ich bin in meinem Fitnessstudio.« »Dir geht es gut?«
    »Ausgezeichnet. Und dir?«
    »Du musst mir helfen. Ich habe den Umschlag geöffnet.« »Den Umschlag? Ich hatte gedacht, du schmeißt ihn gleich weg.« »Nein.«
    »Das Buch über den 11. September, von dem du damals in der Talkshow gesprochen hast, hast du nicht geschrieben, oder?«
    »Woher wusstest du das?«
    »Ich habe es geahnt. Du hast nicht daran geglaubt.« »Warum hast du mir das damals nicht gesagt?« »Weil ich Pessimisten unerträglich finde.«
    »Du lagst richtig. Ich schreibe nicht mehr, ich bin zu alt.« »Ja.«
    »Was?«
    »Natürlich bist du alt. Du bist fast so alt wie ich, und ich bin auch alt.«
    »Ich möchte, dass du mich in die Betty-Ford-Clinic einbuchst.«
    »Hast du denn ein Alkoholproblem?« »Nein.«
    »Drogen?«
    »Nein.«
    »Was willst du denn dann in der Betty-Ford-Clinic?«
    »Das machst du doch mit allen, wenn sie Probleme haben. George Michael, Rufus Wainwright.«
    »Das war die Hazelden Foundation in Minnesota.« »Amy Winehouse hast du auch geholfen.«
    »Die hat aber auch ein Alkoholproblem. Im Gegensatz zu dir.«
    »Du meintest doch, ich könnte dich anrufen, wenn es mir schlecht geht.«
    »Ich meinte, du könntest mich anrufen, wenn du mal meinen Secondhand-Laden sehen willst. Von mir aus kannst du da gerne arbeiten.«
    »Ich? In Elton's Closet?«
    »Es würde dir gut tun, etwas für andere Menschen zu machen. Gegenüber von meinem Londoner Stadthaus ist gerade eine Wohnung frei. Sehr nett. Mit Blick auf den Regent's Park. Ich glaube, man

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