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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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kann von dem Balkon sogar den Betonpavillon mit den Pinguinen im Zoo sehen. Das ist sehr niedlich.«
    »Was soll ich denn in London?«
    »Dann wären wir Nachbarn. Besuchen uns. Machen Charity zusammen. Einen Kamin hat die Wohnung auch.«
    »Ich könnte es mir ja mal ansehen. Ob ich da schreiben kann.«
    »Henry«, sagte er, und ich konnte nicht anders, als mir vorzustellen, dass er grinste. »Du wirst nicht mehr schreiben. Müssen denn alle Künstler arbeiten bis zum Umfallen? Auch wir haben ein Recht auf Rente.«
    »Rente? Ich?«
    »Du bist doch alt. Hast du selbst gesagt. Das ist die Kunst. Sich mit dem Alter abzufinden, bevor es zuschlägt.« Obwohl er mich nicht sehen konnte, nickte ich.
    »Henry, ich muss Schluss machen, Roman Abramowitsch kommt gleich. Wir wollen zusammen Maskottchen vom Chelsea F. C. raus bringen. Von jedem verkauften Maskottchen gehen drei Pfund an meine Stiftung. Wenn du die Wohnung kaufst, schenke ich dir eins. Für den Kaminsims. «
    MElKE
    Wieder einmal kämpfte ich mich auf der Magnificent Mile durch die bummelnden, shoppenden, Tüten tragenden Touristen, überquerte den Fluss, der sich irgendwo da hinten in einen nördlichen und südlichen Arm teilte, genauso wie es in Hamburg eine Norder- und eine Süderelbe gab. Auch auf der Alster wurde im Sommer gesegelt, wie auf dem Lake Michigan, und eine U-Bahn gab es auch, die zeitweise oberirdisch verlief, weswegen es mir nie klar war, ob ich sie U-Bahn oder Hochbahn nennen sollte. Solche Städte brachten mir nichts als Unglück.
    Ich ging an einem China-Imbiss vorbei, in dem eine alte Frau saß, die nichts als einen Tee vor sich stehen hatte. Obwohl sie dort im Warmen saß, hatte sie ihre Mütze nicht abgenommen. Ein Dutzend Plastiktüten standen unter ihrem Tisch. Wahrscheinlich saß sie den ganzen Tag dort. Oder zumindest so lange, bis die Kellner sie rausschmissen.
    Durch ein Fenster zur Straße verkauften sie Sachen zum Mitnehmen, große Packungen mit Krabbenkräckern, deren Anblick mir für einen Moment ein Gefühl rosafarbener, aufgepuffter Sorglosigkeit gab. Vielleicht war es auch nur mein Hunger. Die Nonnen hatten mich heute morgen gebeten, die Rechnung für die letzten Nächte zu bezahlen; ich hatte gesagt, dass ich erst zum Geldautomaten müsste, und hatte dann, ohne zum Frühstück zu gehen, meinen Reisepass und ein paar der wichtigsten Sachen in meine Handtasche gepackt und war gegangen.
    Eine Packung Krabbenkräcker kostete 75 Cent, doch ich hatte nur noch 50 Cent, zwei Quarter-Münzen. Da schlenderte ein Ehepaar in identischen Allwetterjacken und Turnschuhen an mir vorbei, die ich sofort als Touristen erkannte. Ich sprach sie an:
    »Können Sie mir einen Quarter geben? Ich habe mein Portemonnaie im Hotel vergessen und wollte mir Krabbenkräcker kaufen.« Sie sahen mich an, so wie ich sonst Leute ansah, die mich anbettelten, mit dem Blick des normalen Bürgers, der sich fragt, ob er von Seinesgleichen angesprochen wird oder einem Junkie. Diesem Blick, der die Erscheinung des anderen in Sekundenschnelle absucht, Zähne, Haut, Haare, Kleidung. Dann lächelte der Mann.
    »Die sehen wirklich lecker aus«, sagte er, öffnete seine Allwetterjacke, holte aus einer Gürteltasche einen Ein-Dollar-Schein hervor und gab ihn mir, dann gingen sie davon. Ich kaufte mir zwei Krabbenkräckertüten und lief weiter, ohne zu wissen, wohin. An der nächsten Kreuzung blieb ich stehen, um die erste Tüte aufzureißen. Ein Stoppschild stand da, und unter das STOP hatte jemand in Silber gesprüht ... in the name of love.
    In der U-Bahn zum Flughafen öffnete ich die zweite Tüte mit den Krabbenkräckem. Ich war über das Drehkreuz am Eingang gesprungen, um nicht bezahlen zu müssen - andere Leute mochten anders leben, ich konnte das nicht.
    Die Frau am Lufthansa-Schalter schüttelte den Kopf. »Das Ticket ist nicht umbuchbar.«
    »Ich weiß.«
    »Es ist verfallen«, sagte sie. Tippte noch einmal etwas in ihren Computer, das Namensschild auf ihrer dunkelblauen Uniform wippte auf und ab. Trisha stand darauf.
    »Aber gibt es nicht irgendwas, das Sie machen können?« »Ich kann Ihnen ein neues verkaufen.«
    »Sehen Sie, die Sache ist so, ich habe kein Geld.« »Das tut mir leid.«
    »Können Sie es nicht vielleicht doch umbuchen? Ich muss dringend nach Hause«, sagte ich und wusste schon bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, dass sie Nein sagen würde. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als meine Eltern anzurufen und sie zu bitten, für mich

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