Das War Ich Nicht
Kerl, hatte Meike gefeuert. Dafür würde er nun bezahlen. Ihren Flug. Das war ja wohl das Mindeste. Ich gab seine Daten ein.
»Dein Buchungscode ist URT3G9. Jetzt überweise ich dir noch Geld. Kannst es mir zurückgeben, wenn du einen neuen Autor gefunden hast.«
Sie gab mir ihre Kontonummer und sagte: »Danke.«
»Gute Reise«, sagte ich, »wir sehen uns dann später. Irgendwann. Vielleicht.« Sie legte auf. Verspielte ich gerade die Chance meines Lebens? Wir könnten doch zusammen fliegen. Ich könnte eine spontane Geschäftsreise erfinden. Aber nach Hamburg? Das wäre peinlich. Und ihr zu erzählen, was passiert war, kam erst recht nicht infrage. Nachdem ich ihr eben noch von meinem Bonus erzählte hatte, konnte ich ihr doch nicht sagen, dass ich bei der Bank alles versaut hatte und nun auf dem Weg nach Deutschland war, um mich bei meiner Mutter in Bochum zu verstecken. Welche Frau will schon so einen Verlierer?
Das Einzige, was ich tun konnte, war, ihr zu helfen. Ganz uneigennützig, damit wenigstens ihre Karriere nicht so den Bach runterging wie meine. Und sie nie wiedersehen. Auch nicht irgendwann.
Ich loggte mich in mein Online-Banking ein, hatte schon ihre Kontonummer eingegeben, dann zögerte ich. Damit gäbe es eine Verbindung, die sie bei Rutherford & Gold nachvollziehen konnten. Von mir zu ihr. Ich überwies ihr nichts. Wollte sie nicht in die Sache rein ziehen
Dann loggte ich mich in Henrys Online-Konto ein. Auch das konnte er noch für sie tun. Schließlich hatte er ihr genug geschadet. Und nicht nur ihr. Ich dachte daran, wie er sich zu mir in die Drehtür gedrängelt hatte. Wie wir in den Händlersaal gefallen waren. Die Gesichter der grinsenden Kollegen. Und das war noch nichts im Vergleich dazu, was er Meike angetan hatte, die seit Jahren aufopferungsvoll für ihn gearbeitet hatte. Henry LaMarck. Durchgedreht, hatte Meike gesagt.
Überweisung ausgeführt. Vielen Dank, Mr. LaMarck, dass Sie Rutherford & Gold online genutzt haben.
MElKE
Im Flugzeug schlief ich sofort ein und wachte erst über Island wieder auf, als bereits Tausende transatlantische Meilen hinter mir lagen. Zum Frühstück bekam jeder von uns ein viereckiges Omelette, wozu ich um ein Glas Wein bat, was die Stewardess mir gab, ohne das kleinste bisschen Verwunderung zu zeigen, was, so hoffte ich, ihrer Professionalität zuzuschreiben war und nicht meinem Aussehen. Beim Umsteigen in London fragte ich mich, warum Jasper so abweisend, fast aggressiv reagiert hatte, als ich ihn fragte, ob ich bei ihm wohnen könnte? Dass er nach meiner Aktion im Palmenhaus nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, hätte ich noch verstanden, aber dann hätte er mir wohl kaum Geld überwiesen und mir einen Flug gebucht, einfach so, weg von ihm, wo ich doch dachte, dass er etwas von mir wollte. Ich hatte doch gedacht, Jasper sei der einzige Mensch, den ich noch durchschauen konnte: ein Banker, langweilig und arrogant, aber wenigstens berechenbar. Doch nicht einmal das hatte ich richtig eingeschätzt. Henry LaMarck hatte recht, ich war zu verrückt, um irgendwas zu verstehen.
Am Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel wartete ich eine Weile auf meinen Koffer, bis mir einfiel, dass ich ohne Koffer gekommen war oder, besser gesagt, ihn im Kloster in Chicago zurückgelassen hatte.
Da ich in der Kleingartenkolonie nördlich des Flughafens geparkt hatte, weil es da nichts kostete, lief ich auf einem Trampelpfad am Sicherheitszaun entlang, rechts die Lauben, links die Flugzeuge. Ich setzte mich in meinen alten Renault-Lieferwagen, in dem ich sogar noch eine Schachtel Zigaretten fand, rauchte drei hintereinander und hoffte, die Tankanzeige möge noch über ein Viertel steigen, sobald ich den Motor anließ. Als ich es schließlich tat, stieg er sogar noch fast bis zur Hälfte. Ich fuhr los. In zwei Stunden wäre ich bereits wieder in meinem Haus in Tetenstedt hinter dem Deich, und sobald ich da auf dem Sofa säße, könnte ich mir vorstellen, diese Reise nach Chicago hätte nie stattgefunden. Doch es würde mir nicht gelingen - zu klar war mir, dass ich mein neues Leben, das ich in Chicago retten wollte, dort erst richtig ruiniert hatte. Ich dachte an mein Haus, in dem es kalt sein würde, und fragte mich, wann sie einem den Strom abstellten, wenn man seine Rechnungen nicht bezahlte.
Aber wenigstens wird es ruhig sein in meinem Haus. Richtig ruhig. Still. Niemand, der etwas von mir wollte. Auf mich einredete, mit mir redete.
Ich wendete, weg von den blauen
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