Das waren schöne Zeiten
einer anderen Gelegenheit, als wir noch in Auckland lebten, befand sich eine ziemlich große Gesellschaft von uns zum Abendessen an einem Sonntag in unserem Hause. Irgendwie kam es, daß später mehrere von uns für sich allein beschlossen, zum Abendgottesdienst in die St.-Barnabas-Church, ganz in der Nähe, zu gehen. Dieser Impuls brachte uns in drei oder vier Gruppen in die Kirche, so daß wir dementsprechend in den Bänken verteilt waren. Ich hatte meine Mutter in ihrem Rollstuhl dort hingebracht. Als der Gottesdienst beendet war, sah sie sich um, bemerkte ihre in Gruppen verteilten Gäste und meinte, sie erinnerten sie an die Worte des Apostels: >Und einige auf Brettern, einige auf den Trümmern des Schiffes, und so geschah es, daß sie alle die Küste erreichten.<
Für den Abschluß meines B.-A.-Examens wiederholte ich Englisch, was bedeutete, daß ich es fast auf M.-A.-Standard zu bringen hatte. Die vorangeschrittene Klasse war klein, und auf den Vorschlag des Professors meldeten wir uns alle als Anwärter für die Senior- und Tineline-Stipendien. Das hieß, daß wir weiterhin für das normale Examen arbeiteten und lediglich eine zusätzliche Guinea Einschreibegebühr bezahlten.
»Das wird keinen von euch ruinieren, und wer weiß, vielleicht nehmen noch schlechtere Studenten an dem Wettbewerb teil«, bemerkte der Professor zynisch.
Ich hatte nicht die Absicht, für den M. A. zu arbeiten, weshalb ich nach bestandenem B. A. begann, mich nach einer Anstellung umzusehen. Ich bekam eine an der >Gisborne High School< — mehr, wie ich später erfuhr, im Hinblick auf die Verdienste meines Großvaters, als wegen irgendwelcher spezieller Vorzüge auf meiner Seite. Da ich niemals auf dem Lehrerseminar gewesen war und keinerlei pädagogische Ausbildung besaß, konnte ich nur auf eine innere Erleuchtung hoffen, die mir zeigte, wie man unterrichten mußte. Heute kann ich mich nur über mein erstaunliches Selbstvertrauen wundern. Für jemand, der durch keinerlei Ausbildung darauf vorbereitet war, bedeutete es ein ziemliches Wagnis, zum ersten Male einer großen Klasse gegenüberzustehen.
Wahrscheinlich handelte es sich um einen der Fälle, wo sich Ignoranz als Segen erwies; noch wahrscheinlicher half mir die Tatsache, daß ich selbst alles andere als eine Musterschülerin gewesen war und sämtliche Tricks kannte. Jedenfalls stieß ich nie auf Schwierigkeiten, was die Disziplin betraf, und Unterrichten machte mir Freude, besonders in Englisch für die höheren Klassen.
Doch waren meine ersten Erfahrungen im Unterrichten nur kurzlebig. Damals mußten unsere Examenspapiere noch nach England geschickt werden. Die Resultate waren frühestens Ende Februar zu erwarten. Zu meinem Erstaunen erhielt ich ein Telegramm, in dem mir meine Mutter mitteilte, daß ich das Tineline-Stipendium gewonnen hatte. Es kamen noch viele Telegramme, die meisten davon im gleichen Ton gehalten wie das meines Bruders: >Herzlichen Glückwunsch, kann es aber kaum begreifen.< Niemand konnte es weniger begreifen als ich.
Was sollte ich nun tun? Ich fühlte mich absolut wohl in Gisborne und genoß sehr die Unabhängigkeit, nachdem ich mein ganzes Leben lang meiner Familie auf der Geldbörse gelegen hatte. Andererseits drängten sie mich, doch auf keinen Fall auf das Stipendium zu verzichten, und zusätzlich erhielt ich einen Eilbrief von Professor Egerton, in dem er meine Annahme als selbstverständlich voraussetzte und mir mitteilte, daß er mich so bald wie möglich zurückerwarte, um für die >Honours< zu arbeiten.
Das entschied es. Wenn mein vielgeliebter Professor fand, ich wäre M.-A.-Material, dann würde ich jedenfalls den Versuch machen, trotz des im Hintergrund lauernden Gedankens an den Umstand, daß man für die >Honours< zwei Fächer brauchte. Welches zweite? Die unvermeidliche Antwort war Französisch, obwohl das für mich eine schreckliche Hürde bedeutete. Zu versuchen, Latein vom B.-A.-Standard in wenigen Monaten auf den Honours-Standard hochzutreiben, stand außer Frage.
Die Leitung der >Gisborne High School< erwies sich als entgegenkommend und war damit einverstanden, mich zu Ostern zu entlassen, vorausgesetzt, daß ich Ersatz finden konnte. Es war nicht zu schwierig, unter den Studenten, die im vorhergehenden Jahr ihr Examen gemacht hatten, jemand Passenden zu finden, und ich konnte nach Auckland zurückkehren.
1910 war ein enorm anstrengendes, aber nicht weniger glückliches Jahr. Ich mußte mein Französisch in acht Monaten auf
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