Das waren schöne Zeiten
Geschmack der Leute nach ihrer äußeren Erscheinung zu beurteilen. Den ersten grandiosen Schnitzer in dieser Richtung machte ich, als eines Tages eine kleine, unscheinbare Frau zu mir kam und mich bat, ihr >ein hübsches Buch< auszusuchen. Ich wählte für sie einen netten leichten Roman, geschrieben von einer Frau — nur um zu erfahren, daß sie niemals einen Roman zur Hand nahm, sondern ausschließlich gute Biographien oder Reisebücher las, am liebsten jedoch philosophische Werke... Ein sanftäugiges, hübsches Mädchen mit einer leisen Stimme und feinen Ausdrucksweise teilte mir mit, daß sie Wild-West-Storys bevorzugte und dann solche mit vielen Toten... Andererseits muß ein Abonnent, der in der Stadt als Intellektueller galt, nicht wenig unter meiner Wahl von Büchern für ihn gelitten haben. Voller Respekt vor seinem Intellektualismus hatte ich ihm nicht einen einzigen Roman, sondern lauter schwierig zu lesende Werke ausgesucht. Er akzeptierte sie voller Resignation, und nur durch einen Zufall entdeckte ich, daß er niemals etwas Ernstes las, Kriminalromane liebte, vorausgesetzt, es kamen eine Menge Morde darin vor, und eine ausgeprägte Schwäche für Cowboy-Storys hatte.
Eine interessante Tatsache war die Leidenschaft für neue Bücher, die sämtliche Abonnenten zu haben schienen. Sie waren so gefragt, daß wir entschieden, die fairste Regelung würde sein, sie in einem speziellen Regal zu bestimmten Stunden auszulegen. Schon kurz vor diesen Stunden pflegte sich stets eine kleine Schlange von Wartenden zu bilden, und es war amüsant zu beobachten, daß die meisten Leute durchaus zufrieden waren, wenn sie nur ein neues Buch erhielten — ganz gleich was für eines. Leser von Romanen gingen höchst befriedigt mit einem Buch über Fußball weg, wenn es ihnen nicht gelungen war, den neuesten Roman von Cronin zu erwischen. Krimi-Süchtige traten selig lächelnd mit einem Werk über Religion, das sie gewiß nicht einmal aufschlugen, den Heimweg an. Hauptsache, sie hatten ein neues Buch!
Meine Tätigkeit als Bibliothekarin erweiterte in vieler Hinsicht meinen Horizont. Es tat mir außerdem auch sehr gut, wieder mit Menschen zusammenzukommen. All die Jahre vor meiner Ehe hatte ich ein solches Leben geführt, und unbewußt hatte ich es doch vermißt, trotz meiner Liebe zu unserem Leben in der Wildnis des Busches, weil ich von Natur gesellig bin. Hier fand ich nun einen viel weiter gesteckten Kreis, als den meiner Jugend, der sich damals in der Hauptsache aus Freunden von der Universität zusammengesetzt hatte. Nun hatte ich zum erstenmal Gelegenheit, Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen und Berufen kennenzulernen. Ich glaube, ich kann ehrlich behaupten, daß ich ohne Ausnahme fast alle gut leiden konnte. Ganz bestimmt aber waren die meisten von ihnen sehr nett zu mir.
Natürlich war ich nicht einmal auf Strathallan ganz von meinen Freunden abgeschnitten gewesen. Sie waren mir treu geblieben und hatten oftmals die anstrengende Reise unternommen, um uns dort und später auf Ngutunui zu besuchen. Wenn auch nicht ein solch unaufhörlicher Strom von Besuchern kam wie damals in unserem ersten Sommer, so gab es doch eine erfreuliche Anzahl von Freunden, die uns immer wieder aufsuchten und unseren Kontakt mit der Außenwelt aufrechterhielten. Alan und Marguerita Mulgan, liebe Freunde fast während meines ganzen Lebens, verbrachten viele glückliche Ferien im Busch mit uns zusammen, und später auch ihre Söhne, John und David, die mit unseren Kindern auf der Farm ritten, arbeiteten und spielten.
Sie und andere Freunde versäumten nie, uns in der Not beizustehen. Christina Gray kam, bevor wir die Kinder in die Internate schickten, und nähte viele Tage lang, damit sie nicht durch die armseligen Nähkünste ihrer Mutter gedemütigt würden.
Eine andere Freundin, deren Besuch uns beide immer sehr freute, war die Leiterin der großen >Church School<, Miss Edwards, von uns Elisabeth genannt, welche viele ihrer kurzen Ferien bei uns verbrachte. Sie erinnert sich noch an ihren ersten Besuch, als Stuart, der damals erst zehn Jahre alt war, sie mit einem Pony abholte und entschuldigend meinte: »Tut mir leid, aber die Straße ist so aufgeweicht, daß wir den Wagen nicht herausbekommen konnten. Aber Lucky ist sehr brav, und das ist die Seite, wo man aufsteigt.«
Es blieb nicht das einzige Mal, daß sie die aufgeweichte Straße hinaufreiten mußte. Ein andermal holte Walter sie ab und nahm ihren Koffer vor sich auf
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