Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
nicht so einfach. Bereits auf der Brücke und dann alle hundert Meter standen Soldaten in dunklen Ponchos und überprüften die im strömenden Regen vorbeihuschenden, gebückten Gestalten. Den einen oder anderen holten sie aus der Menge, leuchteten ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht und tasteten ihn ab. Alle mussten vorzeigen, was sie in den Taschen und Tüten mit sich trugen. Der Inhalt von Doggies Plastiktüte erregte kein Aufsehen: ein abgenutztes Handy, zwei nasse Zeichnungen und der Krimskrams, den sie in ihrer Fendi-Tasche bei sich gehabt hatte, Lidschatten, Tampons, Schlüssel.
Hoffentlich halten die mich nicht an und leuchten mir ins Gesicht, dachte sie. Manche Soldaten hatten laminierte Fotos der auf der Fahndungsliste ganz oben stehenden Personen in der Hand, und ein Stück weiter hing am Brückengeländer ein komplettes Fahndungsplakat mit Bildern und Beschreibungen von Michael K. Lerner, der Journalistin Miss B., Moonie Quale, zwei weiteren Anführern von Milizen sowie von Doggie selbst.
»Stopp!«, rief ihr ein Soldat am Ende der Brücke zu. »Herkommen!« Er richtete seine Taschenlampe auf ihr Gesicht, drückte auf den Schalter. Der klickte, aber die Lampe leuchtete nicht. Der Soldat schüttelte sie, drückte noch ein, zwei Mal. Doggies Beine begannen zu zittern.
»Scheißding!«, knurrte der Soldat wütend und klopfte die Taschenlampe ein paar Mal auf die Handfläche. Dann drückte er wieder – sie funktionierte immer noch nicht.
Er betrachtete Doggie aus zusammengekniffenen Augen. »Weitergehen!«, kommandierte er dann und stopfte die Taschenlampe unter den triefnassen Poncho. Sein Kamerad sahkurz auf und winkte sie weiter. Ihren gleichgültigen Blicken entnahm sie, dass die Soldaten sie für eine Obdachlose hielten. Kein Wunder, so wie sie inzwischen aussah.
Auf der Insel war noch viel mehr los. Entlang der gesamten Strecke von Watergate bis zum Lincoln Memorial standen Feldjäger und FEMA-Beobachter. »Im Park laufen Tausende Polizisten und Soldaten in Zivil herum«, hörte sie im Vorübergehen jemanden sagen.
Verdammt. Dann blieb ihr also nichts anderes übrig, als den Weg am Fluss bis zur K oder L Street zu nehmen, und dann musste sie zusehen, wie sie am besten zur Zwölften Straße kam.
Gegen elf fand sie etwas so Seltenes wie ein funktionierendes Kartentelefon. Sie gab Wesleys Büronummer ein. Sie musste dringend seine Stimme hören, das würde ihr die Kraft geben, die sie brauchte. Natürlich konnte sie ihm nicht direkt sagen, dass sie ins Weiße Haus kommen wollte, aber er würde es schon begreifen.
Es wurde ein kurzes Gespräch. Seine Stimme zu hören, tat gut, genau wie sie es gehofft hatte. Sie vertraute darauf, dass er nun Vorsichtsmaßnahmen ergriff.
Lächelnd legte sie auf und sah sich um. Jedes Mal, wenn sie eine Straße überquert und in Richtung Süden gesehen hatte, war der Anblick gleichermaßen erschreckend gewesen, denn auf sämtlichen Straßen zur Universität und zum Weißen Haus wimmelte es von Uniformierten. Ausnahmslos alle, die diese Richtung einschlugen, mussten sich ausweisen. Die meisten wurden zurückgewiesen.
Demnach hatten sie die Umgebung rings um das Weiße Haus komplett abgesperrt, das hätte sie sich eigentlich denken können. Die britische Delegation sollte natürlich keine unzufriedenen Menschen auf den Straßen zu sehen bekommen. Der Hubschrauber mit dem Premierminister und seinem Gefolgewürde auf dem Rasen direkt vor dem Oval Office landen, und Watts würde das Gelände nicht verlassen.
Wegen der strengen Kontrollen zur Pennsylvania Avenue hin musste sie, um zu Barnes & Noble zu gelangen, nördlich um das Metro Center herumgehen. Inzwischen war sie bis auf die Haut durchnässt, in ihren Schuhen schwappte das Wasser. Sie beschleunigte ihre Schritte und keuchte wie ein Kettenraucher. Kein Wunder, dass man ihr hinterhersah. Wer sonst als ein bettelarmer Mensch, dem keine andere Wahl blieb, würde bei dem Wetter und ohne Schirm vor die Tür gehen? Armes Mädchen, war in den Gesichtern der Menschen zu lesen, an denen sie vorbeistürmte.
Als sie sich Barnes & Noble von der F Street her näherte, wirkte die Straße ganz normal. Zu normal, das machte sie nervös, denn bereits einen Block weiter patrouillierten nicht gewöhnliche Verkehrspolizisten, sondern Soldaten in schusssicheren Westen und Kampfuniformen. Aber beim Eingang der Buchhandlung, etwa fünfzig Meter weiter, kamen und gingen Kunden, sonst war nichts zu sehen.
Sie riskierte wiederholt
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