Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
hatte.
Nach dem monotonen Kasernenleben sah Captain Thomas Sunderland der Mission in der Karibik mit Freude entgegen. Er war jung und ehrgeizig und glaubte, sich viele Auszeichnungen verdienen zu können. Er hatte sein Bataillon im Griff, und seine Männer waren guten Mutes, als sie auf Grenadas Strände zusteuerten. Niemand konnte wissen, dass sie wenige Stunden später einem kubanischen Panzer ohne Respekt vor uniformierten Amerikanern begegnen würden und dass ein einziger Schuss ausreichen würde, um die Truppe zu pulverisieren.
Als Thomas wieder zu sich kam, lag er in einem swimmingpoolgroßen Krater, neben ihm ein toter und drei schwer verletzte Männer. Heckenschützen beschossen seine Soldaten am Rande des Kraters. Die Angst seiner Kameraden färbte auf ihn ab, Thomas rollte sich auf die Seite, zog die Knie an die Brust und stellte sich tot.
Ben Kane war es, der die drei Verletzten aus dem Krater zog und gut hundert Meter weiter in Sicherheit brachte. Er besaß sogar den Schneid, zum Bombenkrater zurückzukehren und nach seinem Vorgesetzten zu sehen. Er blieb bei ihm, bisdie Verstärkung eintraf und die Heckenschützen zur Strecke brachte.
»Sehr gut gemacht, Kane.« Sunderland klopfte ihm auf die Schulter, während sie warteten. »Männer wie Sie kann ich gut gebrauchen, wenn ich eines Tages Präsident bin.«
Kane zwinkerte ihm zu und lachte. »Stets zu Ihren Diensten, Sir.«
Thomas sah hinauf zu den Wolken. »Mir ist schon klar, warum Sie lachen, Kane. Aber das, was heute passiert ist, war wieder ein Schritt auf meinem Weg ins Oval Office.«
Kanes Lächeln wurde schwächer. »Sie haben hehre Ziele, Captain Sunderland.«
Thomas hatte noch nie in seinem Leben mit irgendjemandem darüber gesprochen. Aber jetzt war es so weit, er konnte es spüren. Und Kane verstand ihn. Er stimmte ihm zu: Aktiver Kriegsdienst war von großer Bedeutung. Die amerikanischen Wähler ließen sich von patriotischer Gesinnung und überdurchschnittlicher Tapferkeit immer noch am ehesten dazu bewegen, ein Kreuz an der entsprechenden Stelle zu machen. »Denken Sie doch nur an Eisenhower und Kennedy.« Kane nickte.
»Sie haben Glück, Captain Sunderland«, fuhr er fort. »Sie haben den richtigen Hintergrund, eine steinreiche Familie und keinerlei Leichen im Keller. Genau das, was man braucht, um Präsident zu werden. So einen Hintergrund haben nicht viele. Ich jedenfalls nicht.«
Da wurde Thomas grausam bewusst, dass er niemals Präsident werden konnte. Zwar verfügte er über den Hintergrund, den Kane und alle anderen kannten, aber er hatte noch einen anderen: Er war der Sohn eines Mörders, und er hatte als Teenager davon gelebt, mit älteren Frauen zu schlafen und sie hinterher zu erpressen. Wäre er damals nicht minderjährig und der Richter kein Waschlappen gewesen, hätte er jetzt eine saftige Vorstrafe im Register. Nein, Mulligan junior war nicht ausdem Stoff, aus dem man Präsidenten machte, und eines schönen Tages würde das ans Licht kommen. Nicht jetzt und auch nicht in fünf Jahren, sondern in der letzten Phase, wenn die Königskrone vielleicht schon zum Greifen nah war. So war es schon anderen, besseren Männern als ihm ergangen. Vielleicht konnte Thomas Sunderland Präsident werden, aber Leo Mulligan junior ganz sicher nicht. So weit ging der amerikanische Traum dann doch nicht.
All das erklärte er dem jungen Sergeant Kane im Bombenkrater.
Kane holte eine kleine Plastiktüte aus der Brusttasche. »Nein, Präsident werden Sie dann wohl nicht – höchstens durch die Hintertür.«
»Was für eine Hintertür?«
Der junge Mann schwieg, während er sich seinen Joint baute. »Na, die des Vizepräsidenten«, sagte er dann. »Sie wissen schon. Lyndon B., Theodore Roosevelt, Andrew Johnson und wie hieß noch mal der nach Garfield? Ach ja, Chester Arthur. Und im Übrigen ja wohl auch Gerald Ford, oder?« Er lachte. »Die sind alle durch die Hintertür auf den Präsidentenposten gekommen. Keiner hat sie je gewählt.«
Thomas schüttelte den Kopf. Erst Vizepräsident werden und dann darauf hoffen, dass der Präsident verschwand? Klang nicht sehr überzeugend.
»Aber warum wollen Sie denn überhaupt Präsident werden?«, wollte Kane wissen. »Soweit ich weiß, hat der doch gar ohnehin nicht die eigentliche Macht, sondern vielmehr seine Berater.«
Kanes Worte wirkten auf Thomas wie eine Offenbarung. Vielleicht konnte er nicht Präsident werden, aber er würde seinem Traum sehr nahe kommen. Er musste sich nur einem
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