Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
der Nase herumzuführen, aber das waren längst nicht alle, wie Doggie aus einigen vorsichtigen Äußerungen schloss.
Im Laufe der beiden letzten Tage hatten sich in den Büros des Weißen Hauses immer mehr überlastete Beamte eingefunden, die mechanisch die Anrufe von anderen ratlosen und überforderten Beamten entgegennahmen. Lösungen wurden dringend verlangt, aber es gab keine. Zollbeamte wollten wissen, ob die ansteigende Ausfuhr von Waffen und Munition über die mexikanische Grenze in der gegenwärtigen Situationlegal war. Milchproduzenten wollten wissen, wie sie die Frische ihrer Waren garantieren sollten, wenn die Tankwagen pausenlos von Straßenkontrollen angehalten wurden.
Jeder war in diesem kollektiven Chaos mit eigenen Problemen befasst: die Gefängnisse zum Beispiel mit dem Personal, das die Gefangenen entlassen sollte, und die Sozialämter damit, diesen Aufgaben zuzuteilen. Und unablässig kamen neue Probleme dazu. Aber das größte Problem im Weißen Haus bestand darin, dass jeder halbwegs befugte Mitarbeiter nonstop belagert war. Und auf den Fluren des Weißen Hauses waren inzwischen mehr Menschen in Uniform als in Zivil unterwegs.
So sah es dem Vernehmen nach im ganzen Land aus. Doggie hatte es selbst gesehen, als sie ihren Vater besuchte. Normalerweise dauerte die Fahrt von Washington zum Gefängnis in Waverly zwei Stunden, aber gestern brauchte sie fünf. Eine Straßensperre nach der anderen, kilometerlange, hupende Autoschlangen, Polizei und Streitkräfte und wütende Bürger. Misstrauen, Kontrollen, böse Blicke.
In Madison County hatte es mit zwei Farmern in einer Cafeteria Streit gegeben, es war zu einer Schießerei gekommen, woraufhin die beiden mit zwanzig Stangen Dynamit im Kofferraum abgehauen waren. Eine halbe Stunde später flog das Rathaus von Charlottesville in die Luft. Danach war die Hölle los. Mindestens vierhundert Mann wurden von ihren Posten abkommandiert. Eine wilde Verfolgungsjagd endete mit dem Tod der beiden Männer. Die Anwohner hatten keine Ahnung, was vorgefallen war. Zu solchen Zwischenfällen kam es immer häufiger, aber es gab kaum noch Medien, die darüber berichten konnten.
In der Nähe von Doggies Wohnung hatte sich ein ganz normaler Brand zu einem Inferno entwickelt, weil sämtliche Polizeikräfte Anweisung hatten, die halbe Million wütender Demonstranten am Capitol Hill in Schach zu halten, weshalb siedie vielen Neugierigen nicht daran hindern konnten, mit ihren Autos so nah an das Feuer heranzufahren, dass sie mit ihren Reifen die Feuerwehrschläuche abklemmten.
Wohin man sah, herrschten chaotische Zustände, Hysterie und Anarchie. Obwohl im Grunde alle entsetzt und wütend waren angesichts der Geschehnisse, passierte das alles in so rasantem Tempo, dass man instinktiv nur noch versuchte, seine eigene Haut zu retten. Wer wusste schon, was morgen war? Würde es noch zu essen geben? Fließendes Wasser, Strom aus der Steckdose? Die anfangs kleinen Hamsterkäufe nahmen immer größere Dimensionen an, obwohl Executive Order 10998 das untersagte. Auf einmal fuhren Hausfrauen im ganzen Land säckeweise Kartoffeln, Reis und Konserven nach Hause. Das musste binnen kurzem zu Lebensmittelrationierungen führen, prophezeihten Analysen, was wiederum die Menschen so verunsicherte, dass sie alles mitnahmen, was sie bekommen konnten.
Wenn es irgendwo Arbeit gab, drängelte man sich in der Warteschlange möglichst weit nach vorn, bevor man sich überhaupt nach dem Gehalt und den Arbeitsbedingungen erkundigte. So vermied man auf jeden Fall, gemäß Executive Order 11 000 zusammen mit den Exhäftlingen bei der Straßenreinigung eingesetzt zu werden oder die riesigen Abfallberge abzutragen, die sich in Seitenstraßen und auf den Grünstreifen entlang der Bahnlinien aufgetürmt hatten. Alle, die bisher in den Tag hinein gelebt hatten, mussten sich auf einmal ernsthaft überlegen, wie sie Konflikte mit den Behörden und den Menschen in ihrer Umgebung vermeiden konnten.
Wenn einer aus den eigenen Reihen bei einer kriminellen Handlung erwischt wurde, hatte das Konsequenzen für das ganze Viertel, insbesondere, wenn sich die Aufklärung des Vergehens in die Länge zog. Die Polizei war unglaublich reizbar und drohte nicht mehr wie früher damit, die Menschen in Gewahrsam zu nehmen, sondern machte schlicht Meldung andie Behörden. Woraufhin allen, die verdächtig waren, sachdienliche Hinweise zu verschweigen, bis zur Aufklärung des Vergehens die Leistungen gestrichen wurden. Was
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