Das Weinen der Engel (German Edition)
es am besten, das Kind so schnell wie möglich zu finden. Dann konnte sie wieder nach Hause fahren und er sein Leben weiterleben.
Vielleicht war das ja das Problem: Für einen jungen Typen wie ihn war es nicht gut, sich so früh aus der Arbeitswelt zurückzuziehen. Er wollte mehr tun als sonnenbaden und das Geld ausgeben, das er mit den Aktien von Wildcat Oil gewonnen hatte. Wildcat Oil, die Firma, bei der sein Bruder Jackson als Geologe gearbeitet hatte. Die Investition, die alle drei Raines-Brüder mit den Aktien dieser damals frisch gegründeten Ölverarbeitungsfirma getätigt hatten, hatte ihnen einen Gewinn beschert, der alle ihre Erwartungen übertroffen hatte.
Jackson war wieder in ihren Heimatort Wind Canyon in Wyoming zurückgekehrt und hatte sich dort eine Ranch gekauft, so wie es immer sein Wunsch gewesen war. Gabe war in Dallas als Projektentwickler ins Baugeschäft eingestiegen. Dev hatte kurz vor dem großen Crash noch mehr auf dem Aktienmarkt investiert und rechtzeitig verkauft.
Er hatte mehr Geld, als er ausgeben konnte. Trotzdem musste er noch etwas anderes finden, als von einem Urlaubsort zum nächsten zu reisen und sich durch unzählige Affären mit Frauen zu vögeln, an deren Namen er sich nicht einmal mehr erinnern konnte.
Das Bild von Lark Delaney tauchte vor seinem inneren Auge auf: groß, sexy und voll lebensprühender Kraft, die in ihm den Impuls auslöste, die Hand auszustrecken und zuzufassen.
Da er genau das nicht machen würde, war dies ein günstiger Zeitpunkt, um sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Oder es zumindest zu versuchen.
Dev unterdrückte einen lauten Seufzer.
2. KAPITEL
„V ersprich es mir, Lark. Versprich mir, dass du es tun wirst!“ Heather lag blass und ausgezehrt in dem geliehenen Krankenbett in ihrem Wohnzimmer. Ein schmaler, eingefallener Schatten ihrer selbst. Einen Moment lang wurde ihr Griff um Larks Finger erstaunlich fest.
Lark spürte einen Kloß in ihrem Hals. „Du kannst dich darauf verlassen, meine Kleine. Ich werde sie finden, koste es, was es wolle. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie gefunden habe.“
Heather brachte ein letztes schwaches Lächeln zustande, dann fielen ihr die Augen zu. Ein letzter, sanfter Atemzug, und die von Schmerz verzerrten Gesichtszüge entspannten sich. Jetzt lag ein friedlicher Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht, das gezeichnet von der Krankheit war, die sie so früh aus dem Leben gerissen hatte.
„Ich werde sie finden“, wiederholte Lark, deren Hals so schmerzte, dass sie kaum sprechen konnte. „Ich werde dich nicht noch mal im Stich lassen.“ Sie lehnte sich vor und drückte ihrer Schwester einen letzten zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dann ließ sie schließlich die Tränen über ihre Wangen fließen, gegen die sie die ganze Zeit angekämpft hatte.
Ein lautes Klopfen an der Tür riss Lark aus dem Schlaf. Sie blinzelte und stellte erstaunt fest, dass sie auf dem Sofa in ihrem Hotelzimmer eingenickt war. Sie atmete tief durch, streckte sich und stand auf, während die Erinnerung an den Traum langsam verblasste.
Gestern, nachdem sie Dev Raines’ Haus verlassen hatte, war sie zur Eigentumswohnung ihrer Schwester gefahren. Es war höchste Zeit, dass sie sich um Heathers Nachlass kümmerte, aber die Erinnerungen an diese letzten Wochen waren einfach zu schmerzhaft gewesen.
Vielleicht war es das Gespräch mit Dev über Heather gewesen. Womöglich lag es daran, dass sie nun den ersten Schritt zur Suche nach der kleinen Tochter ihrer Schwester unternommen hatte. Jedenfalls hatte sie den Anstoß erhalten, den sie gebraucht hatte. Was immer es auch gewesen war, sie fühlte sich jetzt dazu bereit, ihre Trauer zu überwinden.
Glücklicherweise waren alle medizinischen Geräte bereits abgeholt worden. Lark hatte den Nachmittag damit verbracht, Heathers Kleidung zu sortieren und sie für Wohltätigkeitsorganisationen einzupacken. Die kaum benutzten Töpfe und Pfannen hatte sie in Kisten sortiert. Sie hatte alte Fotos durchgesehen und fortwährend geweint, dabei aber eine merkwürdig tröstende Verbundenheit mit ihrer Schwester gespürt.
Bis Mitternacht war sie beschäftigt gewesen und dann in ihr Hotelzimmer zurückgekehrt. Heute Morgen hatte sie beim Zimmerservice Kaffee bestellt, sich auf das Sofa gesetzt, um darauf zu warten, und war dann eingeschlafen. Es klopfte erneut. Sie gähnte auf dem Weg zur Tür. Nachdem sie geöffnet hatte, trat sie beiseite, um den Hotelangestellten, der Kaffee und
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