Das Weinen der Engel (German Edition)
einer Wand des Design-Studios waren Ballen von Leder, Stoffen und metallisch glänzendem Vinyl untergebracht. Daneben befanden sich Dutzende weitere Materialien, die bei der Herstellung der exklusiven Handtaschen, für die die Firma bekannt war, benutzt wurden.
Lark winkte Delilah zu, die gerade an einem Zeichentisch einige Skizzen der neuen Entwürfe anfertigte, die sie in Betracht zogen. Dann griff sie nach ihrer großen Ledertasche und zog ihre Autoschlüssel heraus. „Ich muss weg, aber in zwei Stunden bin ich wieder zurück.“
„Keine Hektik. Es ist alles unter Kontrolle.“
Alle hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen und sprühten förmlich vor Ideen für die neue Saison. Chrissy war noch nicht so weit, um sie der neuen Situation in der Vorschule auszusetzen. Stattdessen kam sie mindestens zwei Tage mit Lark zur Arbeit, und alle waren von ihr begeistert. Sie war wirklich ein süßes Mädchen.
„Vielleicht solltest du lieber vorher die Lage peilen“, warnte sie Delilah. „Und sicherstellen, dass keiner von diesen Reportern mehr unten herumlungert.“
Lark verzog das Gesicht. Journalisten von einem halben Dutzend Sensationsblättern und Magazinen waren hinter ihr her gewesen, um eine Story schreiben zu können. Die Leute von „US Weekly“ waren am aufdringlichsten gewesen, hatten sie ständig um ein Interview angefleht und sie schließlich gewarnt, dass sie ihren Artikel auch ohne ihr Zutun schreiben würden.
„Aus rein werbetechnischen Gründen wäre es keine schlechte Sache“, hatte Carrie Beth gesagt. „Je mehr Leute über dich reden, desto mehr Handtaschen verkaufen wir.“
Schließlich hatte Lark mit Rücksicht auf Chrissy ein Gespräch mit den Medien abgelehnt. Sie hoffte, dass dieses Interesse an den brutalen Morden und dem kleinen Mädchen als einzige Überlebende bald abflaute.
Wie angedroht, hatte „US Weekly“ die Story trotzdem gebracht.
Aber in den vergangenen Tagen hatten sich keine Reporter mehr hier herumgetrieben. Lark nahm an, dass die Klatschblätter von irgendeinem anderen schrecklichen Ereignis abgelenkt worden waren.
Sie konnte das Gebäude ungehindert verlassen und lief zu ihrem Wagen, den sie heute auf dem Parkplatz stehen hatte, statt zu Hause in der Garage. Normalerweise ging sie zu Fuß zur Arbeit, aber heute hatte sie einen Termin.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich durch den dichten Verkehr geschlängelt hatte und ihr Ziel erreichte – eine Schießübungshalle in Culver City.
Zwanzig Minuten nach ihrer Ankunft stand sie auf einer der Schießbahnen und setzte sich die Ohrschützer auf, um die lauten Schussgeräusche abzudämpfen. Ihr Trainer Matt Jensen, ein älterer Mann mit grauem Haar und auffallend vielen Falten, nickte ihr zu. Sie nahm die halbautomatische Ruger SR9, die sie nach vielen schlaflosen Nächten schließlich gekauft hatte.
„Okay, Lark, nehmen Sie jetzt die Position ein.“
Sie stabilisierte ihren Stand mit ausgestellten Beinen, hob die Waffe mit beiden Händen, sorgfältig darauf achtend, dass die Arme gestreckt waren, und richtete die Mündung auf das Ziel, die schwarz-weiße Silhouette eines Mannes.
„Und Schuss!“
Lark betätigte den Abzug, spürte den Rückstoß und fing ihn mit Armen und Beinen ab. Heute fiel es ihr leichter, die Waffe abzufeuern, als gestern noch oder den Tag davor. Jedes Mal, wenn sie zum Unterricht kam, wurde sie sicherer und weniger ängstlich im Umgang mit der Pistole.
In den ersten Tagen nach ihrer Rückkehr aus Arizona hatte sie sich einzureden versucht, dass sie keine Waffe zum Schutz benötigte. Sie konnte keine Pistole im Haus aufbewahren, in dem sich ein kleines Kind aufhielt. Doch seit sie die Waffe nach der notwendigen Wartezeit zusammen mit dem Waffensafe, in dem sie sie neben ihrem Bett sicher aufbewahrte, angeschafft hatte, konnte sie wieder schlafen.
Sie lebte immerhin in L.A., sagte sie sich. Die Kriminalitätsrate war erdrückend hoch.
Der wirkliche Grund war, dass sie diese brutalen Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen konnte. Allein die Gewissheit, sich und Chrissy vor solchen Verrückten, wie den Männern, die die Wellers erschossen hatten, verteidigen zu können, gab ihr einen enormen Trost.
Jetzt um so mehr, seit sie schließlich auch noch mit ihrer Waffe umzugehen wusste.
Sie leerte das Magazin, zog es heraus und schob dafür ein neues ein. Alles genau so, wie sie es von ihrem Trainer gelernt hatte. Dann legte sie die gesicherte Waffe auf den Tresen zurück.
Matt Jensen
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