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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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nach, während oder unmittelbar vor dem Krieg entstanden sind, jedenfalls gehörte das alles zusammen. Dos Passos gab auf. Die anderen merkten, dass sie nicht mehr schreiben konnten. Camus, der den Krieg in seinem »Brief an einen deutschen Freund« gerechtfertigt hatte, lief herum und hielt Vorträge an den Akademien, bis ein Autounfall ihn von dieser Art Leben erlöste.
    Womit ich sagen will, ich habe schon einmal so ein Geschrei auf den Straßen gehört, und es war für die Katz. Es gab Verrätereien und Kehrtwendungen zuhauf. Die Leute hatten zu essen. Sie hatten am Krieg Geld verdient. Aus dem Verbündeten Russland wurde Russland der Feind. Josef Stalin spielte, nachdem nun die Welt gerettet war, Hitler mit seinem Volk. Wie immer waren die Intellektuellen für dumm verkauft worden. Die Wirklichkeit siegte über die Theorie. Menschliche Habgier, menschliche Kleingeistigkeit schrieben Geschichte. Die sogenannten Guten stachen die Guten ab. Verrat. Beweise. Tratscherei. Irwin Shaw schnallte es und schrieb darüber – sein bestes Buch, wenn ich auch den Titel nicht mehr weiß. Joe McCarthy kam genau zur rechten Zeit. Adolfs schmutzige Kniestrümpfe. Die großen Zehn verließen das Filmgeschäft. Die Rechte war wieder am Ruder. Aber wieso? Hatte man sie nicht im Zweiten Weltkrieg zerstört? Jeder war verdächtig. »Waren Sie mal in der KP? Waren das nicht die meisten von uns?« Bloß sagte das niemand. Sie hatten ihre Befehle von oben, und als brave Jungs gehorchten sie. Und jetzt gehören die Kinder der Juden, die wir vor dem Gas gerettet haben, zur Rechten. Sie rennen mit ihren Panzern, Blitzkriegen und schnellen Luftstreitkräften gegen die Linke an. Es ist verwirrend.
    Jetzt schreien die Intellektuellen wieder einmal »Revolution«. Brandanschlag auf eine Bank, Bombenanschlag auf IBM, auf eine Telefongesellschaft und anderes … Bullen werden mit Steinen beworfen, ihre Wagen angezündet; Bullen werden getötet, Bullen töten – das haben sie schon immer getan. Dann kommen die großen Sieben von Chicago und ein unglaublich seniler alter Sack von einem Richter. Hätte Kunstler die Kids in einer Rede kurz vorher nicht zur Zurückhaltung gemahnt, hätte es da vielleicht gekracht. Aber Kunstler wusste, dass das ein Blutbad bedeutet hätte und das sofortige Ende der Revolution. Er hat sie noch mal gerettet. Tja, fragt ihr, worauf will ich raus? Ich bin ein Fotograf des Lebens, kein Aktivist. Aber bevor ihr euch zu einer Revolution entschließt, sorgt dafür, dass ihr gute Chancen habt, sie zu gewinnen – den gewaltsamen Umsturz, meine ich. Wenn der klappen soll, muss erst mal ein Umsturz in den Reihen der Nationalgarde und bei der Polizei stattfinden. Da passiert aber rein gar nichts. Dann braucht ihr Wahlsiege. Und die Chance darauf ist euch mit den beiden Kennedys genommen worden. Derzeit haben zu viele Leute Angst um ihren Job, kaufen zu viele Leute Autos, Fernseher, Ausbildung und Eigenheime auf Kredit. Schulden, Eigentum und der 8-Stunden-Tag sind große Freunde des Establishments. Wenn ihr was kaufen müsst, zahlt bar und kauft nur Sachen, die ihr Geld wert sind – keinen Tand, keinen Firlefanz. Alles, was ihr besitzt, sollte in einen Koffer passen, dann habt ihr den Kopf vielleicht frei. Und bevor ihr euch auf der Straße den Truppen entgegenstellt, denkt nach und werdet euch klar darüber, durch was ihr sie ersetzen wollt und warum. Romantische Parolen bringen nichts. Legt euch auf ein klar formuliertes Programm fest, damit ihr, wenn ihr gewinnt, eine vernünftige und handlungsfähige Regierung hinbekommt. Denn denkt dran, in jeder Bewegung gibt es Opportunisten, Machtgeier, Wölfe im Revolutionärspelz. Das sind die Leute, die eine Sache zu Fall bringen. Ich möchte eine bessere Welt, für mein Kind, für mich, für euch, aber seid vorsichtig. Ein Machtwechsel ist kein Heilmittel. Alle Macht dem Volk heilt nichts. Macht heilt nichts. Euer ganzes Denken muss darauf gerichtet sein, nicht wie ihr eine Regierung stürzt, sondern wie ihr eine bessere schafft. Damit ihr nicht schon wieder die Dummen seid. Und wenn ihr gewinnt, hütet euch vor einer extrem autoritären Führung, die euch schlimmere Fesseln anlegt, als ihr es je erlebt habt. Ich bin zwar nicht gerade ein Patriot, aber bei aller Ungerechtigkeit könnt ihr weitgehend doch immer noch frei eure Meinung äußern, demonstrieren und handeln. Dürfte ich nach eurer Machtübernahme noch gegen die Regierung schreiben? Im Park und auf der Straße stehen

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