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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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einem doch Zweifel. Denn schließlich, was war ein Mann, wenn er das nicht konnte? Was bedeuteten schon Gedichte? Eine reizende Frau vögeln zu können, das war des Mannes größte Kunst. Alles andere war Tinnef. Unsterblichkeit war, vögeln zu können, bis man starb …
    Dann hob ich im Stoßen den Kopf. An der Wand mir gegenüber hing ein lebensgroßer silberner Christus, der an ein lebensgroßes silbernes Kreuz genagelt war. Seine Augen schienen geöffnet zu sein, und er beobachtete mich.
    Ich hielt im Stoß inne.
    »Was ist?«, fragte sie.
    Das ist doch nur Manufaktur , dachte ich, da hängt ein Haufen Silber an der Wand, sonst nichts. Nur ein Haufen Silber. Und gläubig bist du auch nicht.
    Seine Augen schienen größer zu werden, zu pulsieren. Diese Nägel, die Dornen. Der arme Kerl, sie hatten ihn ermordet, und jetzt war er bloß ein Batzen Silber an der Wand, der zusah, zusah …
    Mein Schwanz schlaffte ab, und ich zog ihn raus.
    »Was ist denn? Was ist denn?«
    Ich stand auf und zog mich wieder an.
    »Ich verschwinde!«
    Ich ging zur Hintertür hinaus. Sie fiel hinter mir ins Schloss. Herr Jesus! Es regnete! Ein unglaublicher Wasserschwall. Einer dieser Wolkenbrüche, die Stunden dauern. Eiskalt! Ich lief zu Marx’ Haus, das nebenan war, und klopfte an die Tür. Ich klopfte und klopfte und klopfte. Niemand kam. Ich lief zurück zu Constance und klopfte und klopfte und klopfte.
    »Constance, es regnet! Constance, mein LIEBES, es regnet, ich KOMME UM HIER IN DEM KALTEN REGEN UND MARX LÄSST MICH NICHT REIN! MARX IST WÜTEND AUF MICH!«
    Ich hörte ihre Stimme durch die Tür.
    »Geh fort, du … du elendiger Schweine’und!«
    Ich lief zurück zu Marx’ Tür. Ich klopfte und klopfte. Niemand kam. Überall standen Autos. Ich schaute, ob eins offen war. Alle abgeschlossen. Es gab zwar eine Garage, aber die bestand nur aus Latten; der Regen kam durch. Paul wusste, wie man Geld spart. Paul würde niemals arm sein. Paul würde niemals ausgesperrt im Regen stehen.
    »ERBARMEN, MARX! ICH HABE EINE KLEINE TOCHTER! SIE WIRD WEINEN, WENN ICH STERBE!«
    Schließlich machte mir der Herausgeber von Overthrow auf. Ich trat ins Haus. Ich holte mir eine Flasche Bier und hockte mich auf meine Bettcouch, nachdem ich meine Sachen ausgezogen hatte.
    »›Zum Teufel mit den Leuten hier‹, hast du gesagt, als du gegangen bist«, sagte Marx. »Mit mir kannst du so reden, aber nicht mit Lorraine!«
    Marx hielt mir das immer wieder vor, in einer Tour – so kannst du mit meiner Frau nicht reden, so kannst du mit meiner Frau nicht reden, so nicht! Ich trank noch drei Flaschen Bier, und er hörte nicht auf.
    »Himmelherrgott«, sagte ich, »ich fahre morgen früh. Du hast meinen Fahrschein. Jetzt fahren keine Züge mehr.«
    Marx schimpfte noch ein wenig, dann ging er schlafen, und ich trank noch ein Bier zum Ausklang und dachte, ob Constance wohl schon schläft? … Es regnete.

Bekenntnis eines Dirty Old Man
    Ich wurde als Bastard – uneheliches Kind – am 16. August 1920 in Andernach in Deutschland geboren. Mein Vater war Soldat der amerikanischen Besatzungsarmee, meine Mutter eine blöde Deutsche. Im Alter von zwei Jahren kam ich in die Vereinigten Staaten – zuerst nach Baltimore, dann nach Los Angeles, wo der größte Teil meiner Jugend vergeudet wurde und wo ich auch jetzt wieder lebe.
    Mein Vater war ein brutaler und feiger Mensch, der mich fortwährend aus dem geringsten, oft erfundenen Anlass mit einem Streichriemen verprügelte. Meine Mutter war mit dieser Behandlung einverstanden. »Kinder sollte man sehen, aber nicht hören«, war der Lieblingsspruch meines Vaters.
    Ständig musste ich im Haus und ums Haus herum Sachen erledigen, und wenn sie nicht absolut einwandfrei erledigt wurden, bezog ich Prügel. Es gab immer etwas einzuwenden. Ich bekam täglich Senge. Samstags musste ich zweimal den Rasen mähen – einmal in jeder Richtung –, die Ränder trimmen und anschließend den Rasen wässern und sämtliche Blumen gießen. Währenddessen spielten meine Kumpel auf der Straße Fußball oder Baseball und lachten und lernten miteinander.
    Mein Vater begutachtete den Rasen, wenn ich fertig war. Er kniete sich hin, hielt den Kopf in Grashöhe und suchte nach »Haaren«, wie er das nannte. Wenn er auch nur ein einziges »Haar« fand, einen Grashalm, der länger als die anderen war, bekam ich meine Tracht. Er fand immer ein »Haar«.
    Ich sagte nie etwas außer ja und nein. Mit fünf oder sechs Jahren hörte ich auf

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