Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
zu weinen, wenn ich verdroschen wurde. Ich hasste den Mann so sehr, dass meine einzige Rache darin bestand, nicht zu weinen, worauf er nur noch fester zuschlug. Die Tränen kamen zwar, aber es war ein stummes Weinen. Die Prügel gab es immer im Bad – wahrscheinlich, weil da der Streichriemen hing. Und wenn er fertig war, sagte er: »Geh in dein Zimmer.«
    Ich war schon früh im Untergrund.
    Mein Hintern und die Rückseiten meiner Beine waren ständig von Schwielen und blauen Flecken überzogen. Wenn ich zum Abendessen gerufen wurde – essen fiel mir schon immer schwer –, durfte ich mir ein Kissen unterschieben, und nach besonders schlimmen Prügeln manchmal auch zwei.
    Nachts musste ich wegen der Schmerzen auf dem Bauch schlafen. Mit siebzehn habe ich eines schönen Abends meinen Vater zwar mit einem einzigen Schlag k.o. gehauen, und viele Jahre später habe ich ihn zu Grab getragen, aber auf dem Bauch schlafe ich gewohnheitsmäßig immer noch.
    Ich will mit meinen Bekenntnissen hier nicht auf die Tränendrüse drücken; inzwischen lache ich so gern wie jeder andere. Vielleicht war es aber auch damals schon lustig, wie ich da im Bett lag, sie schnarchen oder ficken hörte und dachte: »Was kann ich denn schon machen mit meinen einszwanzig?« Jetzt bin ich einsachtzig, und andere Ungeheuer sind an die Stelle meines Vaters getreten.
    Die Schule war nicht viel besser. Da ich keine Übung im Straßensport hatte, wusste ich kaum, was ein Baseball oder Football war. In der Pause durfte ich mich zum ersten Mal daran versuchen. Baseball. Sie warfen mir das Ding zu, und ich traf es nicht. Sie warfen mir den Football zu, und ich konnte ihn nicht fangen. Die Hälfte ihrer Unterhaltung verstand ich nicht. Ich war ein »Weichei«. Nach der Schule liefen sie mir in Grüppchen hinterher und zogen mich auf. Ich war anders.
    Auch im Unterricht war ich verstockt. Ich kämpfte noch gegen die Eltern in mir, Vater wie Mutter. Was ich im Unterricht nicht lernen wollte, das lernte ich nicht. Manchmal lag es am Gesicht des Lehrers, manchmal einfach daran, dass das Lernen so stumpfsinnig war. Ich weigerte mich, Notenlesen zu lernen, die Grammatikregeln zu lernen, Algebra zu lernen. Alles nur Pflichten wie die zu Hause.
    Meistens bekam ich eine Vier oder ein »D«, aber Sechsen gab es auch. Irgendeine Missetat beging ich immer, wenn man sie auch nie genau beim Namen nannte, und ich musste oft nachsitzen.
    Ich hatte keine Freunde, aber das machte mir nichts aus.
    Irgendwann im Lauf der Jahre änderte sich dann was; in der Zeit zwischen der Highschool und meinen beiden Jahren am L. A. City College fing das an. Ich wurde der härteste Knochen von allen. Nach meiner Entlassung aus dem Bezirkskrankenhaus von L. A. dürfte das gewesen sein. Ich musste ein halbes Jahr aussetzen. Ich hatte apfeldicke Schwären am Kreuz und im ganzen Gesicht – an den Augen, der Nase, den Ohren, auf der Kopfhaut. Das vergiftete Leben war endlich aus mir herausgebrochen. Die ganzen unterdrückten Schreie – da waren sie, bloß in anderer Form.
    Die Ärzte bearbeiteten mich mit einer großen Bohrnadel. Außer damit an mir herumzubohren fiel ihnen nichts ein. Wenn die Nadel heißlief, roch ich verbranntes Öl. Sie stachen in die apfelgroßen Beulen, und das Blut schoss heraus.
    »So einen Fall hab ich noch nicht erlebt«, sagte einer der Ärzte. »Was für Oschis das sind! Acne vulgaris hoch zwei!« Dann scharten sie sich zu fünft oder sechst um mich und bestaunten die Oschis.
    Idioten. Seit damals hat die Ärztezunft bei mir verschissen. Eigentlich hatte alles und jeder verschissen. Wobei ich die Ärzte weniger verabscheute als meinen Vater; ich fand sie einfach nur ziemlich dumm.
    »So einen hab ich noch nie unter der Nadel gehabt! Der zuckt nicht und zeigt nicht die kleinste Regung. Das ist mir zu hoch.«
    Als ich dann wieder zur Schule ging, zeigte sich etwas in meinem Verhalten. Ich war durch zu viele Feuer gegangen. Nichts kümmerte mich. Statt Angst vor dem Pöbel zu haben und ihn nicht zu verstehen, war ich plötzlich der »harte Kerl«. Andere harte Kerle wollten sich mit mir anfreunden. Ich sagte ihnen, sie sollten sich verpissen.
    Auf einmal konnte ich einen Baseball lang und weit schlagen. Und Football war klasse. Besonders wenn es auf unbebauten Grundstücken und auf Asphaltstraßen zur Sache ging – und Mitte und Ende der 30er Jahre haben wir tatsächlich auf der Straße gespielt.
    Über Nacht wurde ich vom Weichei zum Supermann, dann

Weitere Kostenlose Bücher