Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
nicht so lange. Der Sex war gut; es waren keine Prostituierten, aber irgendetwas war ihnen abhandengekommen, etwas in ihrem Leben hatte sie der Fähigkeit beraubt, zu lieben und für jemanden dazusein. Polizeirazzien in unseren unbezahlten Zimmern waren nicht selten. Ich wurde so gewalttätig und konnte so gut schimpfen wie irgendeine dieser Alkfrauen. Einige von ihnen habe ich beerdigt, andere gehasst, wieder andere geliebt, aber sie alle haben mir mehr Aufregung beschert, wenn auch meist im schlechten Sinn, als zwanzig Männer ihr Lebtag brauchen. Diese Ladies aus der Hölle haben mich schließlich ins Bezirkskrankenhaus von L. A. gebracht, als kritischen Fall, und als ich wieder rauskam, sagte ich der Alvarado Street adieu, aber wenn Sie das reizt – ich könnte mir vorstellen, dass da immer noch derselbe Schlag dem Todeswunsch Zucker gibt …
Nach einer missglückten Ehe dachte ich, verdammt nochmal, werd ich halt Schriftsteller, das scheint mir am einfachsten, du sagst, was du sagen willst, und die anderen sagen, hey, das ist gut, du bist ein Genie. Was spricht dagegen? Es gibt so viele Möchtegern-Genies. Also wurde auch ich ein Möchtegern-Genie.
Mein erster Gedanke war, mich von Schreibern, Künstlern, Machern fernzuhalten, weil sie einen mit dem falschen Kompass ihres Ehrgeizes vom Weg abbringen konnten. Ein guter Schriftsteller braucht schließlich nur zwei Sachen zu können: leben und schreiben, und damit hat es sich. In Los Angeles ist es möglich, völlig isoliert zu leben, bis man dich findet, und finden wird man dich. Und tage- und nächtelang mit dir trinken, und tage- und nächtelang mit dir reden. Und kaum sind die Einen weg, klopfen die Nächsten an. Gegen die Frauen hat man natürlich nichts, aber die anderen sind schlicht Seelenfresser.
Einer der Ersten, die mich fanden, war M. J., der bekannte Beat-Poet der 50er Jahre aus New York, na ja, Brooklyn. M. hat einfach an die Tür gehämmert. Er war nicht mehr jung und schrieb schon lange. Ich war noch älter als er und fing gerade erst an. Aber das war schon in Ordnung. Ich hatte einen Kater.
»Bukowski, bist du motorisiert?«
»Ja, nur lass mich erst ein Bier trinken. Auch eins?«
»Nein, ich trink nicht mehr.«
»Was ist denn los?«
»Na, ich bin zwei Abende hintereinander vermöbelt worden. Erst in Frisco und den Abend drauf in Barney’s Beanery . Da bin ich aber an einem Profi geraten. Der hat mich so verdroschen, dass ich mich vollgeschissen habe. Ich musste mich mit einer Zeitung abwischen. Weiß nicht, wo ich pennen soll … Fährst du mich nach Venice?«
»Klar.«
»Der Typ da ist gut für einen Zwanziger.«
Auf der Fahrt erklärte mir M., dass die Gesellschaft in unserer Schuld stand. Wir hätten unseren Teil getan, meinte er. Auch Henry Miller hätte die Reichen angepumpt, als er anfing. Alle Künstler seien dazu berechtigt.
Ich dachte bei mir, es wäre schön, wenn alle Künstler das Recht zu überleben hätten, aber meiner Ansicht nach hatte das jeder, und wenn der Künstler nicht genug Kohle ranschaffte, sah er so alt aus wie jeder andere in diesem Fall. Doch ich widersprach M. nicht. Er war zwar nicht mehr der Jüngste, aber noch voll dichterischem Elan. Nur war er aus den Dichterzirkeln irgendwie ausgeschlossen worden. In der Kunst gab es Politik wie überall sonst. Es war schade, aber M. hatte sich auf zu vielen Literatenpartys gezeigt, war auf zu viele Maschen abgefahren, zu vielen großen Namen hinterhergerannt, nur weil sie groß waren; er hatte zur falschen Zeit und auf die falsche Art zu viele Ansprüche gestellt. Im Fahren zog er ein kleines rotes Notizbuch mit »Zapfstellen« hervor. Lauter Adressen zum Anpumpen.
In Venice stieg ich mit M. aus, und wir gingen zu einem zweistöckigen Haus. M. klopfte. Ein Junge kam heraus.
»Jimmy, ich brauch zwanzig Dollar.«
Jimmy ging, kam mit dem Zwanziger wieder, schloss die Tür. Wir setzten uns ins Auto, fuhren zurück und tranken den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend, während M. die Dichterszene durchhechelte. Dass er dem Trinken abgeschworen hatte, war vergessen. Am nächsten Morgen gab es Bier zum Frühstück, dann ging’s raus zu den Hollywood Hills. Wieder ein zweistöckiges Haus. M. musste an die Fenster klopfen. Ein Haus voller Katzen und Kätzchen, das vor allem auch nach Katzenscheiße roch. M. bekam weitere zwanzig, und wir fuhren zurück. Und tranken weiter.
Ich sah M. immer wieder mal. Ab und zu machte er eine Lesung in der Stadt. Es kamen kaum
Weitere Kostenlose Bücher