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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Leute hin. Er las gut, die Texte waren gut, aber ein Fluch lag auf ihm. M. war gebrandmarkt. Die Zapfstellen versiegten. Dann fand er ein Mädchen, das ihn zu sich holte. Ich freute mich für M. Aber M. war wie alle anderen Dichter: Er verliebte sich in seine Frauen, vielleicht zu sehr. Bald saß er wieder auf der Straße, manchmal schlief er bei mir auf der Couch und schimpfte auf sein Schicksal. Da er keinen Verleger mehr für seine Bücher fand, vervielfältigte er sie selbst. Ich habe noch eins hier: Alle Dichter Amerikas sitzen im Knast . Er hat mir was reingeschrieben:
    L.A.
    Feb. 1970
    Für Charlie:
    Durch die Gnade der Götter
    kriegen wir ihn manchmal noch hoch.
    Zeig her, brüllte er. Los
    zeig her. Mann, ich mach ja schon.
    Nur die Ruhe. Hier, Mann, schau
    her. Auf seiner Handfläche lag
    ein Klecks weißer Samen. Ich komm
    nicht so oft wie du, sagte
    er. Hier, Mann, schau dir meinen
    Schwanz an. Wie ein Baum steht er
    nackt in der Spargel
    Sonne.
    Herzlich,
    M.
    Dann fing M. an, Songs zu schreiben. Irgendwo habe ich auch ein Buch mit seinen Songtexten.
    »Ich fahr zu Janis Joplin und zeig ihr meine Songs«, sagte er.
    Ich hatte das Gefühl, das wäre zwecklos, aber das konnte ich M. nicht sagen. Was war er doch für ein Romantiker, dass er sich solche Hoffnungen machte. Er kam wieder.
    »Sie wollte mich nicht sehen«, sagte er.
    Jetzt ist Janis tot, und das Letzte, was ich von M. gehört habe, war, dass er in Brooklyn den Besen schwingt und endlich arbeitet – für seinen Bruder. Ich hoffe, M. kommt zurück, in jeder Hinsicht. Schleimerei hin, Schnorrerei her, im Augenblick stehen schlechtere Versschmiede an der Spitze. Vielleicht sind alle Dichter Amerikas im Knast. Die meisten jedenfalls …
    Dann war da noch N. H. von der Pariser Beat-Szene, der Szene in Tanger, Griechenland und der Schweiz, der Burroughs-Gang … N. erschien zusammen mit mir und noch einem Dichter in der Reihe Penguin Modern Poets . Plötzlich lag er in Venice Beach faul am Strand, statt zu schreiben, klagte über eine kaputte Leber und ließ sich von seiner alten Mutter umsorgen, die er gut unter Verschluss hielt. Wenn ich N. besuchte, klopften oft junge Männer bei ihm an. Sein Pimmel funktionierte trotz Leberschaden offensichtlich einwandfrei. N. war angeblich zweigleisig, aber Frauen habe ich nie bei ihm gesehen.
    »Bukowski, ich kann nicht mehr schreiben. Burroughs redet nicht mehr mit mir, kein Mensch will mich sehen. Ich bin abgemeldet. Hab verschissen. Bin erledigt. Ich hab sechs Bücher fertig, und keiner will sie.«
    Später behauptete N., ich hätte ihn bei Black Sparrow Press, einem Verlag, der viel neue amerikanische Lyrik macht, rausgekantet. Das stimmte zwar nicht, aber so stand es um N.s geistige Verfassung. Wenn man ihn besuchte, musste man sich jedes Mal sein Gemecker darüber anhören, dass er mit Gewalt von der Bühne gedrängt worden sei. Tatsächlich hatte ich Black Sparrow Press gebeten, ihn zu bringen, weil ich fand, dass er es verdiente.
    »Du hast noch nie was für mich getan, Bukowski.«
    Man würde sich ja wünschen, dass Kunst ihren Weg allein macht, aber N. hatte vergessen, dass ich für eine Sondernummer der Zeitschrift Ole mit seinen Arbeiten ein lobendes Vorwort verfasst hatte. N.s Verfolgungswahn wurde so schlimm, dass N. C. und ich einmal, nachdem wir ihn ein Stündchen besucht hatten, zum Fahrstuhl rennen mussten, um uns, sobald die Tür zu war, vor Lachen auf dem Boden zu wälzen. Da wir uns aus Angst, seine Gefühle zu verletzen, wenn er uns hörte, nicht vorne raus trauten, fuhren wir erst noch in den Keller und wälzten uns da noch fünf Minuten lachend im Muff zwischen den Kesseln und Spinnweben.
    N. H. war und blieb ein verdammt guter Dichter. Traurig nur, wenn so jemand zum Krakeeler verkam. Aber ich nehme an, das blüht uns allen. Wenn die Poesie, die Prosa wie Schlangen die Wände hochkriecht, wenn unsere Selbstmordspiegel uns graue Haare zeigen, graue Kunstgriffe, ergrautes Talent. N. hatte seinen europäischen Mäzen verloren. Es lief nicht gut. Die Dichter besuchten ihn alle nur einmal. The Free Press bot ihm an, für sie Rezensionen zu schreiben, aber die Chance nutzte er nicht. Gebildet, begabt, bewandert, gammelte er vor sich hin. Er gab es zu. Ich sagte ihm, er käme schon wieder zu sich.
    Einmal haben ein Dichterkollege und ich ihn besucht und eine Sauftour vorgeschlagen, aber N. meinte, er sei zu einer Party eingeladen, schriftlich. Wollten wir mitkommen? Warum nicht, sagten

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