Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Liebhaber«.
Auf dem Weg zum Parkplatz drehte sie sich dann zu ihm um und sagte: »Du mit deinen ganzen Scheißzahlen und Berechnungen. Das ist doch alles Blödsinn!« Und an dem Tag hatte sie natürlich recht. Inzwischen sind sie geschieden.
Ich müsste wirklich noch viel weiter ausholen, um Ihnen eine vernünftige Grundlage für das Wetten auf Pferde zu liefern. Aber behalten Sie zumindest einiges, was ich gesagt habe, im Kopf: nah an der Morning Line, einen Tick drunter, wenn’s geht, und entsprechend dem Konsens der Kenner. Dann stehen Sie vielleicht da, und alle Pferde fallen aus dem Rahmen bis auf zwei, und Sie fragen sich, welchen nehme ich? (Mit Wetten meine ich übrigens Wetten auf Sieg . Platzwetten, bei denen das gewettete Pferd Erster oder Zweiter bzw. Erster bis Dritter werden muss, sind bloß eine tödliche Schinderei. Da können Sie gleich zu Hause bleiben, Ihr Geld von einer Tasche in die andere schieben und einen Fünfdollarschein zerreißen. Kommt aufs selbe raus.)
Okay, wenn die Quoten Ihrer zwei Pferde hoch genug sind, wetten Sie auf beide. Steht aber zum Beispiel eine 9:5 gegen eine 8:5, sollte man sich vielleicht für den Richtigen entscheiden. Treffen Sie Ihre Wahl vom Maßgebendsten ausgehend wie folgt: Nehmen Sie das Pferd, das in seinem letzten Rennen in Front lag oder ausgerissen war und auf der Einlaufgeraden ein wenig zurückgefallen ist. Nehmen Sie das Pferd, das das meiste Gewicht trägt. Nehmen Sie das Pferd mit der schlechteren Einstufung aus dem letzten Rennen. Nehmen Sie das Pferd, das den schlechteren Jockey zu haben scheint. Das sind vier Anhaltspunkte. Wenn drei davon erfüllt sind, haben Sie einen wahrscheinlichen Sieger. Sind alle vier erfüllt, haben Sie leichtes Spiel.
Wenn die Punkte gleich verteilt sind, 2 zu 2, wählen Sie das Pferd mit dem augenscheinlich schlechteren Startplatz. Sind die Startplätze in etwa gleich, hören Sie auf die Großmäuler – die sind immer da. Hören Sie, welches Pferd die favorisieren, und setzen Sie auf das andere.
Und gehen Sie nicht jeden Tag auf die Rennbahn. Sonst ist das wie Fabrikarbeit; man stumpft ab und wird dumm und taub. Denken Sie dran: Jeder Vollidiot kann zur Rennbahn fahren, genau wie jeder Vollidiot sich auf einen Barhocker setzen und so tun kann, als ob er (oder sie) lebt.
Ach ja, eines möchte ich noch hinzufügen, bevor ich gehe. Pferde gewinnen meistens, wenn sie von der Quote, die sie in ihrem letzten Rennen hatten, runterkommen. Ein Pferd, das, sagen wir, von 12:1 auf 6:1 runterkommt, ist viel besser als eins, das zuletzt 2:1 stand und jetzt mit 6 abgeht. Tatsächlich ist ein Pferd, das unter seine sämtlichen in den Formen verzeichneten Quoten kommt, immer ein guter, ein sehr guter Tipp, wenn es um seine Morning Line herum abgeht.
Mein bester Rat in Sachen Rennbahn ist – Bogen drum. Wenn Sie aber hinfahren, machen Sie sich zumindest klar, dass Ihre einzige Chance darin besteht, den vorgefassten Urteilen und Ansichten der Masse schlichtes Vernunftdenken entgegenzusetzen. Viel Glück, Freunde.
Training
Nina und ich hatten uns eigentlich getrennt. Sie war 32 Jahre jünger als ich, und es gab andere Unvereinbarkeiten, aber zwei-, dreimal die Woche sahen wir uns noch. Wir hatten sehr wenig Körperkontakt – ab und zu ein bisschen Küssen und wesentlich seltener auch noch mal Sex; es war also eine freundschaftliche Trennung, weit weniger brutal als die meisten. Nina war tablettensüchtig, und ich war Alkoholiker, aber ich nahm ihre Tabletten und sie trank meinen Alk; da hatten wir keine Vorurteile.
Nina war 24 und klein, hatte aber einen nahezu perfekten Körper und lange Haare von reinstem Rot. Sie hatte schon alles mitgemacht: ein Kind mit 16, danach zwei Abtreibungen, eine Ehe, einen Kurzausflug auf den Strich. Mit Barjobs, Partnerschaften, Gönnern, der Arbeitslosenversicherung und Essensmarken hatte sie sich über Wasser gehalten. Aber sie war noch voll da: der Körper, ihr Humor, ihr Wahnsinn, ihre Brutalität. Und so lief und saß und vögelte sie herum mit ihren langen roten Haaren. Diesen langen roten Haaren. Nina war ein Blattschuss für die Psyche; sie konnte jeden Mann umbringen, den sie wollte. Mich hatte sie beinah umgebracht. Aber da war sie nicht die Einzige.
Karyn lernte ich kennen, als ich mit Nina zu ihr fuhr. Sie waren befreundet, und Karyn hatte irgendwelche Tabletten. Nina hatte zwar drei oder vier Ärzte, die ihr Rezepte schrieben, aber sie war Großverbraucherin. Karyn hatte ein
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