Das weiße Amulett
trennen?«
»Aber andererseits hat er dadurch doch eine einzigartige Verbindung zwischen dem alten Luxor und dem heutigen Paris geschaffen, findest du nicht?«
»Ja, das ist wahr. Aber er hat die Einheit des Luxor-Tempels zerstört. Die alte Macht ist gebrochen. Der Tempel war ein Gesamtwerk und hatte eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Ich meine, niemand würde auf die Idee kommen, einen Picasso zu zerstören, ihn in vier Teile zu zerschneiden und jedes Einzelstück in verschiedenen Museen ausstellen.«
Mansfield musste bei dem Gedanken grinsen. »Wohl kaum.« Er sah sie an. »Es tut dir weh, nicht wahr?«
Sie nickte. »Aber es ist eben nicht zu ändern. Willst du hineingehen und dir den Tempel anschauen?«
»Würdest du denn mitkommen?«
»Nein, ich werde den Ort nicht betreten. Ich bleibe lieber hier bei den Wächtern des Tempels.« Sie streichelte den Hals einer der steinernen Statuen und genoss die Berührung des alten verwitterten Sandsteins. »Ich bleibe bei den Sphinxen.«
Mansfield sah auf die Sphinx, dann auf den Weg zum Tempel, dann wieder auf die Sphinx, die ihn anzulächeln schien. Er setzte sich neben Karen auf den Sockel der jahrtausende alten Statue.
»Ich werde nicht gehen.«
Karen schaute ihn verwundert an. »Nicht?«
»Nein.« Er tätschelte die Sphinx neben ihr und richtete seinen Blick westwärts über den Nil zu den roten Sandfelsen und dem Tal der Könige.
»Nein.«
36
Die Fahrt über den Nil kostete nur 1 LE, aber Karen hätte auch mehr dafür bezahlt. Es war ein wunderbares Gefühl, während der hohen Nachmittagssonne über den alten heiligen Fluss zu fahren. Unter ihr floss der dunkelblaue Strom nordwärts, und ein sanfter Wind spielte in ihren Haaren. An den Ufern lagen viele Feluken und große Flussdampfer, doch die Fähre hatte einen eigenen Landungssteg, an den der Rais vorsichtig heranfuhr und seine Helfer gekonnt die Haltetaue auswarfen.
Wenige Minuten später standen Karen und Mansfield auf dem Westufer, wo sie von einem dicklichen Mann mit Khakischlapphut, kurzem Hemd und langen Hosen empfangen wurden. George Kennard, der Chefarchäologe von KV78, hatte es sich tatsächlich nicht nehmen lassen, seine Gäste abzuholen und sie persönlich ins Tal der Könige zu fahren. Allerdings durfte er mit dem Wagen nicht bis zum Grab durchfahren, sodass er am Anfang des Tals am großen Parkplatz vor dem Souvenirladen anhielt.
Sie wurden bereits von einem Einheimischen erwartet, der in eine strahlend weiße Galabiya aus feinem Stoff gekleidet war und eine teuer aussehende Rolex am linken Handgelenk trug.
Kennard warf ihm einen freundlichen Blick zu.
»Mrs Alexander, Mr Mansfield, darf ich Ihnen Mr El Bahay, die gute Seele unserer Ausgrabungskampagne, vorstellen? Er wird uns zum Grab begleiten.«
Ibrahim El Bahay lächelte bescheiden und reichte ihnen die Hand. »Es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, Mrs Alexander. Mr Mansfield.«
»Ganz meinerseits«, erwiderte Mansfield trocken, obwohl er ganz andere Worte auf den Lippen hatte.
El Bahays Gesicht war vollkommene Unschuld.
»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise?« Seine dunklen Augen leuchteten vor Vergnügen, während er Kennard und seine Gäste die steinige Sandstraße entlang der vielen Grabeingänge des berühmten Tals nach Süden führte.
Mansfield fuhr sich über die trockenen Lippen. »Die Reise war nahezu perfekt. Ich habe mir nur einen starken Sonnenbrand geholt«, antwortete er mit leichtem Spott.
»Ja, die Sonne brennt hier sehr stark«, erwiderte El Bahay ungerührt.
»Haben Sie heute schon die Zeitung gelesen, Ibrahim? Stellen Sie sich vor, unsere Freunde sind vor einer Woche von Oasenbewohnern entführt worden und galten fünf Tage lang als vermisst!«
»Nein!«
»Doch, wirklich. Aber sie konnten ihren Kidnappern entfliehen.«
El Bahay drehte sich kurz zu Mansfield um. »Ach, Sie konnten fliehen? Wie abenteuerlich. Und wie sind Sie der Wüstensonne entronnen?«
Mansfield wollte etwas erwidern, aber Karen kam ihm zuvor.
»Wir sind nicht geflohen, Mister El Bahay, das wäre Selbstmord gewesen.«
»Das stimmt.«
»Aber wir hatten das Glück, auf einen sehr verständnisvollen Menschen zu treffen, der für uns ein gutes Wort bei den Entführern einlegte, sodass sie uns nach ein paar Tagen wieder freiließen.« Sie griff unbewusst nach ihrer Maat-Kette. »Wir verdanken ihm viel.«
El Bahay musste lächeln. »Das glaube ich gern«, sagte er, während sie ihm in eine kleine Seitenschlucht folgten,
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