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Das weiße Grab

Das weiße Grab

Titel: Das weiße Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Hammer , Søren Hammer
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mal, haben Sie denn überhaupt keine Manieren?«
    Er sprang zurück. Pauline Berg hoffte auf ein Wunder. Die Beleidigung war ein Ausdruck ihrer Verzweiflung, das wusste sie selbst nur zu gut, aber irgendetwas musste sie doch versuchen.
    Andreas Falkenborg war einen Moment lang erschüttert: »Entschuldigung, ich wollte nicht … ich, er … Er sagt pfui zu ihren hässlichen Schenkeln. Sie sagt so etwas nicht, und er sagt pfui! Pfui, pfui, pfui, sagt er.«
    Er schrie fast, als er aus dem Raum stürmte, und dieses Mal ließ er die Tür offen stehen.
    Jeanette Hvidt heulte verängstigt.
    »Jetzt holt er den Stock. Sie müssen um Verzeihung bitten, schnell, versprechen Sie mir das. Oh, nein, ich habe solche Angst.«
    Andreas Falkenborg kam tatsächlich gleich darauf mit einem seltsamen Stock in der Hand zurück.
    »Nicht ich!«, flehte Jeanette Hvidt ihn an. »Die hat diese bösen Sachen gesagt. Sie war ungehorsam, sie soll den Stock zu spüren bekommen, damit sie ihr freches Mundwerk hält. Nicht ich. Ich tue alles, was er sagt, alles, was er verlangt.«
    Pauline Berg bemerkte noch, wie sehr Jeanette Hvidt bereits Andreas Falkenborgs Ausdrucksweise verinnerlicht hatte, dann explodierte ihr Körper in einem zitternden, weißen Schmerz, der sie wie eine Feder anspannte und unerträgliche Spasmen von den Haaren bis in die Zehenspitzen durch ihren Körper jagte. Sie schrie aus vollem Hals, etwas anderes war gar nicht möglich. Jeanette Hvidt hatte recht, die Schmerzen waren unbeschreiblich.
    Ihr Folterknecht trat einen Schritt zurück, während Jeanette Hvidt rief: »Sie verdient noch mehr, sie war sehr unartig, ich aber nicht. Ich tue, was er sagt, sie soll meinen Stoß mit dem Stock bekommen!«
    Andreas Falkenborg folgte ihrem frommen Wunsch nicht gleich, sondern sagte stattdessen zu Pauline Berg: »Sie kann schreien, so viel sie will. Schreien wie auf dem Weg zum Blocksberg, zum Scheiterhaufen an Johannis.«
    Jeanette Hvidt ergänzte: »Ja, lass sie schreien, sie hat so hässlich über ihn geredet.«
    »Sie schweigt stille.«
    Jeanette Hvidt verstummte augenblicklich. Dann richtete er den Stock erneut auf Pauline, die ihm vergebens auszuweichen versuchte, aber es kam kein Stoß. Stattdessen schlug er ihr leicht aufs Knie und begann aufs Neue mit seinem Abzählreim, indem er mit dem Stab auf den Knien der Frauen hin und her tippte: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …«

[home]
    48
    I n Høje Taastrup ließ die Comtesse sich zum ersten Mal in ihrem Leben von einer Hellseherin beraten. Die Konsultation fand im zweiten Stock eines Mietshauses unweit des Bahnhofs von Høje Taastrup statt. Sie hatte eine andere Lokalität erwartet, eine düstere Villa vielleicht, etwas mit einem Turmzimmer und einem Raben auf dem Dach, lag mit diesen Erwartungen aber denkbar falsch. Auf dem Türschild stand
Stephan Stemme & Frau.
Sie klingelte, und ein Mann öffnete, er war ausgemergelt und alt, hatte ein knochiges Gesicht und tiefliegende Augen, die alles in sich aufzusaugen schienen, ohne je wieder etwas preiszugeben. Sie rechneten im Flur ab, bar und ohne Quittung. Umständlich verstaute er das Geld in einer alten, etwas protzigen Geldbörse, die er aus einer Schatulle hervorgeholt hatte. Danach verschloss er die Schublade, steckte den Schlüssel ein und klopfte an eine Tür unmittelbar neben dem Schränkchen.
    »Sie können sie Madame nennen.«
    Seine Stimme war tief und rauh, und sein französisches
Madame
klang beinahe guttural, als er der Comtesse die Tür öffnete.
    Das Zimmer, in das sie kam, war hell und freundlich und überreich möbliert. Spießbürgerliche Gemütlichkeit als Schutz gegen die Misstöne des Lebens. Von den pfirsichfarbenen Gardinen bis hin zu den Porträts der wohlerzogenen, adrett frisierten Enkel, die die hellgrüne Wand schmückten, passte hier alles zusammen. Das Interieur litt jedoch unter der Übermacht der Mahagonimöbel, die die Comtesse unpassend, ja richtiggehend hässlich fand.
    Die Madame empfing sie, auf einer Biedermeier-Chaiselongue thronend. Sie stand nicht auf, sondern begnügte sich damit, ihr eine schlaffe weiße Hand zur Begrüßung entgegenzustrecken und sich ein klein wenig aufzurichten. Sie war eine kleine, fast zerbrechlich wirkende Frau Ende fünfzig. Zu dem schicken grauen Kostüm, das sie trug, hatte sie sich beinahe kunstfertig einen weißen Schal um ihre dünnen Schultern geschlungen. Ihr Gesicht wirkte müde, der Mund hing etwas, aber ihre glasklar funkelnden Augen

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