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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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gehofft, Karens Geständnis werde sie endlich von jedem Verdacht befreien. Sie war … stolz auf sich gewesen, weil sie Russ eine neue Information brachte – wie ein aufmerksamkeitsbedürftiger Hund, der ein Stöckchen apportiert. Voller Abscheu schob sie ihre Hände in die Taschen. Sie hatte nicht gedacht, sondern nur gefühlt. Und reagiert.
    Sie wartete an einer Fußgängerampel, bis die Autos vorbeigefahren waren. Verflucht, war das kalt. Ihr taten die Ohren weh, und es war noch mindestens eine Meile bis zu den Burns, wo ihr Wagen stand. Warum hatte sie keine Mütze aufgesetzt? Vorsicht ist besser als Nachsicht, sagte Oma Fergusson. Richtige Vorausplanung verhindert ein scheißerbärmliches Resultat. Diese Stimme gehörte einem Stabsfeldwebel, dem Leiter ihres Überlebenstrainings. Offensichtlich teilten beide Russ’ Meinung.
    Die Ampel wurde grün, und Clare überquerte die Staße. Aber verdammt, Russ war so auf die Burns fixiert, dass er keine andere Möglichkeit in Betracht zog. Warum hätte Karen Geoffs Abwesenheit am Abend von Darrells Ermordung eingestehen sollen, wenn sie ihn damit nicht entlastete? So was sah doch ein Blinder! Aber Russ konnte die Vorstellung nicht ertragen, er sei auf dem Holzweg. Der und seine »Ich Bulle, Sie Priester«-Nummer. Überheblicher Wichser.
    Blitzendes Rotlicht und das kurze Aufheulen einer Sirene rissen Clare zurück in die Gegenwart. Ein Streifenwagen fuhr im Schritttempo neben ihr. Das Beifahrerfenster war heruntergedreht.
    »Steigen Sie ein. Ich werde Sie fahren.«
    »Nein«, sagte sie zu dem Wagen.
    »Um Himmels willen, Clare, nur weil Sie sich getäuscht haben, was die Burns angeht, müssen Sie doch nicht schmollen wie ein kleines Kind. Es ist ein langer Weg bis dorthin.«
    »Ein bisschen Körperertüchtigung tut mir gut.«
    »Clare, steigen Sie in den gottverdammten Wagen!«
    »Nein.«
    »Ich frage nicht noch einmal!«
    Sie blieb stumm, den Blick starr auf das Gebäude jenseits der nächsten Kreuzung gerichtet.
    »Na schön, verdammt. Wie Sie wollen!« Der Streifenwagen beschleunigte und fuhr weiter.
    In dem verklingenden Motorengeräusch und dem schneller werdenden Schmatzen der Reifen konnte sie Oma Fergussons Stimme hören: Durch Selbstgerechtigkeit ist noch nichts besser geworden, kleines Fräulein, und Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Clare stapfte weiter durch die Nacht.

21
    W ochenenden waren Spitzenzeiten für das Altenpflegeheim von Millers Kill. Kinder, Enkel und Urenkel, die Montag bis Freitag zu viel zu tun hatten, kamen Samstag und Sonntag zu Besuch. Sie brachten Zeitschriften, Fotos und Topfpflanzen mit, die das Personal nach Kräften am Leben erhielt. Clare hatte ihre Visiten bislang auf werktags beschränkt, wenn es auf den Gängen weitgehend still war und ihre ältesten Gemeindemitglieder sich freuten, jemanden aus der Außenwelt begrüßen zu dürfen.
    Aber Mr. Howards Nichte hatte sie gebeten, dem alten Herrn ein wenig Mut zuzusprechen, der nach einer bösen Lungenentzündung gerade wieder ins Heim gekommen war. Und so hoffte sie, morgens die mürrischen Teenager und schuldbewusst wirkenden Erwachsenen nicht anzutreffen, die am Sonntag die Flure bevölkerten.
    Mr. Howard schien schwach und erschöpft, aber trotzdem bestens aufgelegt. Bei einem früheren Besuch hatte Clare festgestellt, dass er Zuhörer für seine Geschichten aus der Depressionszeit und seinen unerschöpflichen Vorrat von fürchterlichen Kalauern brauchte. Dabei ignorierte er, dass sie Geistliche war – ob aus Vergesslichkeit oder aus einer höflich verschwiegenen Ablehnung weiblicher Priester, das wusste sie nicht. Allerdings beteten sie am Ende ihrer halbstündigen Besuche zusammen, und als sich Clare diesmal mit dem Versprechen, seine Nichte zu grüßen, von ihm verabschiedete, da fragte sie sich, ob die Gebete eines Neunzigjährigen wohl besonders erhört würden. Nach so vielen Jahren musste Gott eine Art alter Freund sein, nur dass er auf der anderen Seite lebte.
    Bei dem unbesetzten Stationsschalter klemmte sich Clare ihren braunen Polizeiparka unter den Arm, blätterte das Insassenregister durch, das vertraute Namen aufwies, und las in den kurzen Anmerkungen, ob es irgendjemandem schlecht ging oder ob er im Krankenhaus war. Da erregte ein gedämpftes Weinen ihre Aufmerksamkeit. Sie legte das Buch zurück und trat um den Schalter herum auf den Flur. Eine alte Frau in einem schweren, bodenlangen Bademantel lehnte an der Wand, die Faust auf den Mund gepresst, die

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