Das Weisse Kleid Des Todes
winkte sie durch die Küchentür. »Selbstverständlich.« Offensichtlich waren die Vorbereitungen für einen Brunch im Gange. Schüsseln voll Teig, ein Karton Eier, Hackbrettchen voll zerkleinertem Gemüse. Und an etwas nippend, das wie Mimosas aussah, die Shatthams. Clare lächelte schwach. Na, fantastisch. Die waren wohl gerade im Begriff, die Verlobung von Wes und Alyson zu begießen.
Die herzliche Begrüßung der Shatthams vergrößerte nur Clares Schuldbewusstsein, weil sie die Fowlers gleich schockieren würde. »Clare muss Edith und mich dringend sprechen«, erklärte Vaughn. »Es dauert nur ein paar Minuten. Ihr kommt ja allein zurecht.«
»Barb, dreh doch mal die Würstchen um, ja?«, bat Edith.
»Nur hereinspaziert. Das hier ist mein Studierzimmer. Direkt neben der Küche, falls ich beim Arbeiten einen Naschanfall kriege.« Vaughn ließ Clare und seine Frau eintreten, dann schloss er die Tür hinter sich. Das Zimmer war eine Gedenkstätte für die Familie Fowler und ihre Militärlaufbahn. Fotos, Landkarten, Trophäen sowie ein paar fadenscheinige Bataillonsflaggen.
»Beim Arbeiten?«, fragte Clare, um den Augenblick der Wahrheit hinauszuzögern.
»An einer Geschichte des Staates Washington.« Der Colonel wies auf einen Sekretär, wo eine elektrische Remington-Schreibmaschine neben mehreren gebundenen Büchern stand. »Die wird die Lücken schließen, die andere Autoren gelassen haben.«
Clare bückte sich, um ein Schwarzweißfoto zu begutachten, das einen schlanken, drahtigen jungen Mann in Felduniform zeigte, ihm zur Seite ein General mit jeder Menge Orden auf der Brust. Die beiden blinzelten künstlich lächelnd in die Sonne.
»Sir. Sind Sie das?«
»Mit meinem Vater. 1965. Am Tag vor dem Ausrücken nach Vietnam.«
»Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.« Clare richtete sich auf. Edith Fowler sah zu ihrem Mann, der den unerwarteten Gast mit schiefem Blick betrachtete.
»Sie wollten uns sprechen, weil –«
Clare holte tief Luft. »Sir … Vaughn … Sie erinnern sich doch, wie Chief Van Alstyne im Pfarrzentrum die Fotos des toten Mädchens herumzeigte? Sie sagten damals, Sie hätten es nie gesehen.«
»Natürlich erinnere ich mich. Einen solchen Sonntag vergisst man nicht so schnell.«
»Wir kennen inzwischen die Identität der Toten.«
»Ja, ich weiß. Mitch und Barb haben uns alles erzählt. Alyson hat sie als eine Schulkameradin identifiziert.«
»Sehr richtig, Sir. Sie hieß Katie McWhorter.« Clare verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken. »Hat Ihr Sohn diesen Namen je erwähnt?«
Fowler sah zu seiner Frau. »Nein«, antwortete sie. »Was, um Himmels willen, hat diese Sache mit Wes zu tun?«
»Ich habe heute zufällig entdeckt, dass Ihr Sohn heimlich mit Katie McWhorter ging. Sie waren nicht nur in derselben High-School-Klasse, sondern auch als Praktikanten im Altenpflegeheim. Der Heimleiter hat mir erzählt, dass er sie früher oft zu kleinen Tête-à-Têtes verschwinden sah. Ich weiß nicht, was dahintersteckte, aber jedenfalls hat es wohl im Herbst angefangen, als Katie mit ihrem Freund Schluss machte. Letztes Weihnachten war die Geschichte zweifellos aktuell.«
»Augenblick!«, sagte Fowler, sich erneut an seine Frau wendend. »Ging er letztes Jahr nicht schon mit Alyson?«
»Ja, natürlich.« Edith Fowler sah stirnrunzelnd zu Clare. »Wenn Sie uns sprechen wollten, weil unser Sohn seine Freundin betrogen hatte, dann sehe ich darin leider keinen Sinn. Und auch nicht, was Sie das angeht.«
Clare biss sich auf die Zunge. »Katie McWhorter hatte ziemlich genau eine Woche, bevor sie ermordet wurde, ein Kind geboren. Der Vater des Kindes war bislang nicht zu ermitteln.«
»Bislang? Wollen Sie damit etwa andeuten –«
»Ruhig Blut, Edith. Clare, Sie kennen unseren Sohn nicht. Wenn er etwas hat, dann Verantwortungsgefühl. Und er hängt an Alyson. Vielleicht hatte er ja wirklich ein Verhältnis mit diesem Mädchen, aber auf keinen Fall hätte er eine Schwangerschaft riskiert.«
»Das ist doch absurd. Woher wissen Sie überhaupt, dass es nicht ein anderer Junge war?«
»Ich habe ein Foto von den beiden, auf der letzten Weihnachtsfeier im Pflegeheim. Es ist –« Sie griff in ihre Hosentaschen, brachte aber lediglich eine Hand voll Kleingeld und ein zerknülltes Papiertaschentuch zum Vorschein. »Es steckt noch in meiner Jacke.« Sie ließ ihre Hände sinken. »Ich behaupte ja gar nicht, dass Ihr Sohn in den Mord an Katie McWhorter verwickelt ist. Ich meine nur, er
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