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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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versuchte, sich einen Reim auf diese grotesken Ereignisse zu machen.
    »Wie?«
    »Runter damit!« Die Stimme klang männlich – tief und kehlig –, war aber ebenso wenig identifizierbar wie der Mann selbst. Der Lichtstrahl fiel nach unten, und Clare hörte deutlich das Geräusch von Munition, die in eine Automatikpistole geladen wurde.
    Clares Kehle schnürte sich zu. Hitze durchflutete ihren Körper. Sie nahm den Stock, schleuderte ihn aus Leibeskräften nach der Lampe und stürzte sich in das Gestrüpp am Straßenrand.
    Ein Schuss fiel. Er zerriss die Stille wie eine Axt, die dünnes Eis sprengt; der erstickte Schrei »Gottverdammt!« ging darin fast unter. Aus dem Dickicht brachen drei Rehe hervor, die über den Weg sprangen, und das Geräusch der Hufe wurde überall von Flügelflattern beantwortet: aufgeschreckte Wintervögel.
    Bäuchlings unter einer Tanne liegend, beobachtete Clare, wie sich der Lichtstrahl bizarr gen Himmel bäumte, und flüchtete auf Händen und Füßen hangabwärts, weg von der um sich schlagenden, fluchenden Gestalt. Sie kam auf die Beine und lief ein, zwei, drei Meter, bevor sie über etwas stolperte, das unter dem Schnee vergraben war. Sie kam wieder auf die Beine, zog den Kopf ein, um den Ästen von dicht stehenden Tannen auszuweichen, und benutzte totes Gestrüpp und junge Bäumchen als Halt, während ihr die Zweige ins Gesicht peitschten. Sie schlug eine andere Richtung ein, bis sie wieder fiel, wischte sich mit ihren wattierten Händen den Schnee vom Gesicht, wechselte dann abermals den Kurs. Ein Strauch mit langen Dornen riss an ihrem Parka. Während ihr Herz heftig pochte und sie stoßweise atmete, stürzte sie durch schenkelhohen Schnee. Dabei trat sie eine Äste-und Gerölllawine los.
    Auf einer kleinen Anhöhe stieg sie auf eine umgestürzte Tanne und hielt keuchend inne, um sich zu orientieren. Keinerlei Licht hinter ihr. War sie wirklich aus dieser Richtung gekommen? Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Wenn ihr Angreifer, wie sie vermutete, die Taschenlampe hatte fallen lassen, dann würde er Clare verfolgen, sobald er das Ding wiederfand. Ihrer allzu deutlichen Spur.
    Nach Atem ringend, wandte sie sich um und überschaute das Gelände. Irgendwo zu ihrer Linken, hoffentlich nicht zu weit weg, lag die Gebirgsstraße. Wenn sie diese nicht mehr fand, war sie verloren, ob das Phantom mit dem Schneemobilanzug sie nun einholte oder nicht.
    Sie brach in die Richtung auf, wo sie die Hauptstraße vermutete, suchte sich ihren Weg jetzt aber langsamer und vorsichtiger, indem sie sich von einem umgestürzten Baum zum anderen vortastete und sich, wann immer möglich, in den Schutz von Schierlingstannen und Fichten drückte. Sie durfte keine deutliche Spur hinterlassen, doch sie konnte Pausen einlegen, sodass die Verfolgung erschwert oder verzögert würde.
    Wenn sie die Straße direkt ansteuerte, dann könnte er sie leicht schnappen. Er musste irgendwo ein Fahrzeug haben, nicht allzu weit von der Abbiegung in die Forststraße.
    Und er hatte eine Waffe und eine Taschenlampe. Er war für diese Umgebung ausgerüstet und größer, wahrscheinlich auch schwerer als Clare. Er wollte ihren Tod.
    Sie dagegen hatte … Ein Zweig mit buschigen Nadeln schlug Clare ins Gesicht. Sie spuckte, um den Geschmack von Harz loszuwerden. Sie hatte einen Vorsprung. Sie könnte seine Taschenlampe sehen, lange bevor er sie entdeckte. Ihre Nachtsicht war scharf und nicht auf Kunstlicht angewiesen. Seine Waffe musste irgendetwas Kleinkalibriges sein, ohne große Reichweite; er müsste ihr also wirklich sehr nahe kommen, um sie zu erwischen. Und eins noch: Er hatte Clare unterschätzt, und es bestanden gute Aussichten, dass er das weiterhin tat. Ihr Überlebenstrainer am Luftwaffenstützpunkt Edgeland, ein findiger alter Stabsfeldwebel, der aus nahe liegenden Gründen den Spitznamen »Hardball« trug, hatte ihnen beigebracht: »Der größte Vorteil einer Frau bei einer Flucht ist, dass neunundneunzig Prozent aller Männer nur daran denken, dass sie eine Frau ist! Also verwenden Sie nicht Ihre Titten, sondern Ihr Gehirn!« Als Clare zum ersten Mal bei einer Übung aufgegeben hatte, musste sie in der Dreckbrühe von Floridas Sümpfen Liegestütze machen, bis sie sich erbrach. Seitdem hatte sie nie wieder kapituliert.
    Die Hitze Floridas hätte sie im Moment gut brauchen können. Ihre Füße fühlten sich an wie in einen eisigen Schraubstock eingespannt. Neben einer alten Schierlingstanne, deren Stamm nur einen Meter

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