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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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krachend, hüpfend, knirschend immer und immer wieder überschlug.

23
    D unkelheit und Stille. Clare rang nach Luft, atmete zitternd und mühsam ein. Ihre Atemzüge klangen in der Ruhe nach dem Sturm abnormal laut. Sie hing in ihrem Schultergurt, den linken Arm an zertrümmertes Glas gepresst. Ihr Auto lag auf der Seite. Durch die Überreste des Fahrerfensters schaute sie auf Basaltfels. Die Windschutzscheibe war unversehrt, aber halb aus ihrem Chrom-und Gummirahmen gesprungen. Das Beifahrerfenster über Clare wurde wie ein Oberlicht mit bizarren Rissen unter dem herabfallenden Schnee langsam weiß.
    Keuchend atmete sie tief ein, um etwaige Schmerzen in ihren Lungen oder Rippen feststellen zu können, bewegte vorsichtig die Beine. Ihre Knie fühlten sich an, als hätte jemand mit dem Hammer draufgeschlagen, aber alle anderen Gelenke ließen sich bewegen, ohne dass etwas schmerzte. Sie griff nach der Türklinke über ihr. Ein scharfes Stechen schoss ihr in die Flanke. Ihre behandschuhten Finger erreichten die Klinke nicht. Sie tastete nach der Gurtschließe und öffnete sie. Als sie sich langsam Richtung Beifahrertür streckte, erzitterte der Wagen, und es ertönte ein metallisches Kreischen. Erschrocken sank Clare im Sitz zurück und klammerte sich am Leder fest, während ihr Fahrzeug noch fünfzehn Zentimeter weiterrutschte, um mit einem Knirschen zum Stillstand zu kommen. Sie lag jetzt in einem bequemeren Winkel, denn einiges vom Gewicht des Wagens ruhte auf seiner hangaufwärts gerichteten Seite. Clare zog an dem Griff der Beifahrertür. Sie klemmte. Ihre Füße auf die zertrümmerte Fahrertür gedrückt, schob Clare sich hinüber, stemmte ihre Schulter dagegen und riss noch einmal an dem Griff. Mit einem Kratzen von Metall auf Metall sprang die Tür auf.
    Clare kletterte nach draußen und stolperte über eine steile Fels-und Geröllhalde auf halber Höhe über einer Schlucht, die den Berg durchschnitt, so weit das Auge reichte. Fünf oder sechs Meter unter ihr, in der Talsohle, schäumte ein Wildbach, dessen schwarze Fluten trotz des dreitägigen Dauerfrosts nicht vereist waren. Über ihr fiel die Straße in Richtung zweier dicker, breiter Betonpfeiler ab – und löste sich dann in Luft auf. Clares Wagen hatte eine Furche in Schnee, Schutt und Geröll gerissen. Zögernd sah sie zu ihm hin, und stieß einen schwachen Laut aus. Dann wandte sie sich entschlossen ab, um mit vorsichtigen Schritten ihren Weg nach oben zu suchen. Als sie die Betonpfeiler erreichte, lehnte sie sich dagegen und rieb sich die Augen. Möglich, dass es unter dem jungfräulichen Schnee auf der anderen Seite einmal einen Doppelpfeiler gegeben hatte, das ließ sich jetzt jedoch schwer sagen. Jedenfalls ging die Straße dort nicht weiter. Clare konnte die Schneise zwischen den Bäumen erkennen. Hier war einmal eine Brücke gewesen. Früher.
    Sie versuchte, sich den Schnee von den Füßen zu stampfen. Wenn drüben im Wald eine Hütte lag, dann war auf diesem Weg sicher niemand dorthin gekommen. Folglich musste es zwischen Kristen und Lois ein Missverständnis gegeben haben, oder Clare war irgendwo falsch abgebogen. Oder aber … Sie sah noch einmal zu der Stelle, wo die Straße schlicht und einfach verschwand. Oder aber man hatte sie absichtlich hierher geschickt. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und es überlief sie ein Schauer.
    Entschlossen riss sich Clare von den Pfeilern los und stieg zu dem Kamm der Straße hinauf. So oder so – ob durch einen Irrtum oder durch böse Absicht –, sie war in einer gefährlichen Lage: knapp zehn Meilen entfernt vom letzten Vorposten der Zivilisation, den sie gesehen hatte; und obwohl der Parka und ihr Pullover ihren Oberkörper warm hielten, fror sie unter ihrer baumwollenen Armeehose. Noch größer war das Problem mit ihren Schuhen. Selbst in dicken Wollsocken schmerzten ihre Zehen bereits vor Kälte. Wie würden sie sich nach einer Meile im Schnee anfühlen? Nach fünf? Ab welchem Punkt würde es aufhören wehzutun und zu irreversiblen Erfrierungen führen?
    Clare zog die Kapuze ihres Parkas über den Kopf und schnürte sie unter dem Kinn zusammen. Der falsche Pelzbesatz kitzelte ihre Wangen. Normalerweise schaffte sie eine Meile problemlos in fünfzehn Minuten. Sie trat in die Reifenspuren, die sich zusehends mit Schnee füllten, und machte sich auf den Weg hinab zur Hauptstraße. Frischer Schnee, festgefahrener Schnee, unebenes Gelände – sagen wir, es würde etwas länger dauern, vielleicht

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