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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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ihnen auf dem Weg in die Geschäfte entgegen. Bald ginge hier der Abendbetrieb los, bei diesem Sturm aber vielleicht weniger in den Restaurants, sondern in den Kneipen, in denen jeden Samstag die Gewohnheitssäufer hockten, oder auf Weihnachtspartys, wo die Gäste meinten: Ein Gläschen Rum oder Eierflip in Ehren kann niemand verwehren.
    Als Russ an der Tenant Road von der Autobahn herabfuhr, wurden die Straßenverhältnisse tückischer. Sein Kleinlaster lag zwar gut auf der Straße, aber die Straßenoberfläche war schlecht: gerade befahren genug, um matschig und halb vereist zu sein. In gleich bleibendem Takt kämpfte sein Scheibenwischer gegen den prasselnden Schnee. Das Geräusch erinnerte Russ an seine letzte Fahrt durch einen Sturm, Mittwochabend, neben ihm die erschöpfte, weinende Clare; stets aufmerksam für die Gefühle anderer, nur nicht für ihre eigenen, die sich heranschlichen und sie auf einem Auge blind machten. Von hinten näherte sich ein einzelner Wagen. Russ kniff die Augen zusammen, um ihn erkennen zu können, und schnaubte, als der andere langsam überholte. Irgend so ein Subaru. Verdammt noch mal, er hätte Clare zu dem Vertragshändler in Fort Henry schleppen und sie zwingen sollen, etwas Wintertaugliches zu leasen.
    Er passierte eine gemütliche kleine Raststätte. Als ihre Lichter in seinem Rückspiegel verblasst waren, gab es nichts außer ansteigendem Gelände und Schnee. Seine Scheinwerfer bohrten sich kaum zwei oder drei Lkw-Längen weit in die Dunkelheit, bevor der Schneesturm sie auslöschte. Das Glitzern auf jeder Flocke verwirrte die Augen wie Blitzlicht. Lange Gewohnheit half Russ, die Effekte zu ignorieren. Stattdessen konzentrierte er sich auf das vor ihm liegende Stück Fahrbahn.
    Trotzdem schoss er an der Abbiegung vorbei. Er registrierte die Schneise in den Bäumen und die weiße Straßendecke erst Sekunden, nachdem er sie gesehen hatte. Bedächtig bremste er ab, kam zum Stillstand und wendete. Zu viele Leute vergaßen, dass ein Allradantrieb zum Beschleunigen da war, nicht zum Bremsen. Er hatte so oft nach Unfällen aufgeräumt, dass er nicht den gleichen Fehler machte.
    Sein Pick-up arbeitete sich langsam die Bergstraße hinauf. Russ schüttelte den Kopf, als er sich vorzustellen versuchte, wie Clares Fliegengewicht von einem Auto hier hochfuhr. Wenn überhaupt. Der Schnee hatte sämtliche Reifenspuren getilgt; es gab keine Orientierungshilfe auf der schmalen, verschlungenen Strecke. Russ verglich den Stand des Kilometerzählers mit der Wegbeschreibung: Er musste bald da sein. Und gäbe es auch in der Hütte keine Spur von Clare, dann war er mit seinem verdammten Latein am Ende.
    Ein unverkennbarer Gewehrknall ließ ihn aufschrecken. Fluchend stieg er auf die Bremsen, sodass der Pick-up sich querstellte und rutschte. Russ schaltete Heizung und Motor aus, kurbelte ungeschickt das Fenster herunter. Ein dumpfer Schlag, dann schlitterte der Wagen leicht bergab, bis seine Hinterreifen im Straßengraben stecken blieben. Russ streckte hastig seinen Kopf aus dem Fenster und lauschte auf weitere Geräusche aus der dunklen Wildnis.

25
    D as leise Zischen von trockenem Schnee auf Schnee. Alles andere war mächtige, weite Stille. Erst als ihm ein Atemstoß aus der Brust brach, merkte Russ, dass er die Luft angehalten hatte. Er öffnete das Handschuhfach und nahm seine Taschenlampe heraus: lang und schwer, auch eine Waffe. Dann holte er die Munitionspackung und das Gewehr vom Rücksitz – schüttete sich eine gute Hand voll Patronen in die Jackentasche, bevor er Mütze und Handschuhe anzog und aus dem Führerhaus stieg.
    Am Rand der Bäume hielt er inne. Ohne Kompass wagte er sich nicht mehr als zehn, zwölf Meter von der Straße fort. Er zog seine Strickmütze tiefer in die Stirn. Bei der Vorstellung, mit eingeschalteter Taschenlampe und laut rufend einem unbekannten Schützen entgegenzugehen, hätten sich seine Eier am liebsten in den Körper verkrochen. Aber falls es nun Clare gewesen war … Wenn sie ihn nicht sehen würde, dann konnte er eine Woche hier herumsuchen. Er klemmte sich das Gewehr unter den Arm und schaltete mit seinem Daumen die Taschenlampe ein. Scheiß drauf! Entweder war dieser Schütze harmlos, oder Russ würde ihn umlegen. Jedenfalls musste er Clare finden, und er hatte nicht vor, wieder abzuziehen, ehe er nicht alles in seiner Macht Stehende getan hatte.
    Die Lampe halbkreisförmig hin und her schwingend, watete er in den Wald hinauf und lauschte nach

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