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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Geräuschen, die auf die Anwesenheit eines zweiten menschlichen Wesens deuten könnten. Die Kälte biss ihm ins Gesicht. Er dachte an Clare, die, natürlich zu dünn angezogen, vielleicht in diesem Moment immer tiefer in die Wildnis tappte und dabei langsam erfror. Hundert Schritte zwischen die Bäume, dann bog er wieder bergab Richtung Straße. Wenn jemand auf Clare geschossen hatte, dann musste sie hier in der Gegend sein. Der Schall wurde in diesen Bergen zwar weit getragen, aber der Schuss war aus der Nähe gekommen, verdammt nah. Während Russ sich mit erhobenem Arm vor den Zweigen schützte, die ihm ins Gesicht peitschten, versuchte er, sich nicht vorzustellen, wie Clare am Boden lag, der Schnee gerötet von ihrem Blut.
    Er wechselte erneut die Richtung, ging von der Straße weg und durch Tannen-und Schierlingsdickicht. Methodisch sein, das war der springende Punkt – nicht dem Drang nachgeben, brüllend herumzurennen, sondern in einer weiten Zickzackbewegung den Berg hinablaufen, weil das der Weg war, den die meisten Verirrten einschlugen, und die Taschenlampe als Leuchtsignal einsetzen.
    Russ hörte nichts außer seinem eigenen Atem und dem Schnee, der über die Hänge fegte. Seine Kehle schnürte sich gegen die aufsteigende Furcht zusammen. Nicht die Furcht, dass der Unbekannte, der mit ihm hier draußen war, ihn umlegen könnte, sondern die Furcht, dass Clare für immer verschwinden würde.
    Der Strahl der Taschenlampe traf ihn direkt in die Augen. Er blendete ihn, und Russ schrie unwillkürlich auf. Er war so erschrocken, dass sein Verstand einen Moment aussetzte. Aber stattdessen dachte sein Körper für ihn: Russ warf sich in den Schnee und richtete sein Gewehr auf das andere Licht.
    »Russ?« Ihre Stimme war schwach und brüchig vor Kälte.
    »Clare?« Mühsam wieder aufstehend, schwenkte er seine Lampe in ihre Richtung. »O mein Gott, Clare.« Sie taumelte ihm entgegen, und er fing sie in seinen Armen auf. Gewehr und Taschenlampe klapperten aneinander. »Clare. Großer Gott, alles okay mit Ihnen? Hat Sie’s erwischt?«
    »Meine Füße … Ich kann meine Füße nicht mehr spüren.«
    Er ließ los, um sie anzuleuchten. Die Haut in ihrem Gesicht war zerkratzt, rissig und blutunterlaufen. Gott sei Dank trug sie den Polizeiparka. Sah aus, als hielte das Ding, aber ihre Hose war nass bis über die Knie, und Eis-und Schneeklumpen klebten an ihren Stiefeletten. Russ richtete den Lichtstrahl wieder nach oben.
    »Was, zum Teufel, haben die Stiefel da über Ihrer Schulter zu bedeuten?« Sie öffnete den Mund. »Nein, erzählen Sie’s mir später. Mein Pick-up steht etwa siebzig Meter von hier. Ich kann Sie tragen, aber ich glaube, wenn Sie gehen würden, sind wir schneller und sicherer auf den Beinen.«
    Sie nickte. »Ich kann gehen«, sagte sie.
    Er sah sich um. »Der Schütze – ist er in der Nähe? Haben Sie ihn gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, sein Gesicht nicht. Er ist –« Sie rieb sich mit einem schneeverkrusteten Handschuh die Augen und blinzelte heftig. »Ich weiß nicht, ob er in der Nähe ist. Allerdings hat er keine Waffe mehr. Hat sie verloren, als ich ihn fertigmachte.«
    Russ legte den Gewehrriemen über die Schulter, fasste Clare am Arm und leuchtete ihnen den Weg aus den Wäldern. »Sie haben ihn fertiggemacht? Wie soll ich das verstehen?«
    Sie klammerte sich an ihn, ging aber mit sicheren Schritten weiter. »Ich habe ihn in eine Falle gelockt und ihm einen Stein auf den Kopf gedonnert. Seine Kanone konnte ich nicht finden, aber seine Lampe und die Stiefel, die hab ich mitgenommen.«
    Russ half ihr über ein Stück Holz hinweg. »Sie haben seine Lampe und seine Stiefel mitgenommen?«
    »Hätte ja auch gern die Autoschlüssel gefunden, aber die hatte er nicht dabei. Ich …« Sie schluckte. »Ich wollte mich zurück zur Straße durchschlagen. Zu seinem Wagen oder was. Seinem Schneemobil.« Russ fasste sie stärker am Arm. Sie schnappte erneut nach Luft. »Aber als ich Ihr Licht gesehen habe, Russ, da bin ich in die andere Richtung gelaufen. Ich war nämlich auf dem falschen Weg.« Ihr brach die Stimme. »Ich dachte, ich ginge Richtung Straße, aber ich muss davon weggekommen sein. Ich wäre … ich wäre ewig gelaufen …«
    Direkt vor ihnen traf sein Lichtstrahl auf Metall. »Haben’s gleich geschafft.« Russ konnte ihr Gesicht nicht sehen, nur den Pelzsaum der Kapuze. Er zwang sich, zuversichtlich zu klingen. »Sie wären nicht ewig gelaufen, dafür sind Sie zu clever. Sie

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