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Das weisse Meer

Das weisse Meer

Titel: Das weisse Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Sourlier
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was er nachts tat, war mir nie klar. Wir schrieben uns Zettel, wann wir nach Hause kommen würden oder dass leider kein Kaffee mehr da war. Er unterschrieb nur noch mit J. Sei umarmt ließ er weg, wahrscheinlich aufgrund der geringen Distanz zwischen uns und der Banalität der Mitteilungen. Wenn ich Jonas doch einmal in der Wohnung antraf, stand er irgendwo vor einem Bücherregal oder vor der Spüle, als sei er gerade im Begriff, etwas zu tun, ein Buch aus dem Bücherregal zu nehmen oder ein paar Tassen abzuwaschen. Er tat aber nichts, sondern stand nur da, wie eingefroren, die Arme angewinkelt vor seinem schmalen Körper, als hätte er plötzlich vergessen, was er im Begriff war zu tun, weshalb er da stand, weshalb er hier war und alles andere.
    Jonas hatte herausgefunden, dass man die Katze in die Kleintierkadaver-Entsorgungsstelle in der Müllverbrennungsanlage bringen sollte. Ich hatte schon den Plan, die Katze im Wald zu vergraben, sagte ich, doch Jonas machte mir klar, dass es bei diesen Minustemperaturen kaum möglich gewesen wäre, ein Loch in den gefrorenen Waldboden zu graben. Wir nahmen den Bus, ich trug den Karton mit der Katze. In einem italienischen Café im Industriegebiet tranken wir einen Espresso und warteten auf den Künstler. Der Künstler kam zu spät. Ich komme gerne zur Beerdigung, hatte er gesagt. Ich fragte mich, weshalb ich ihn bloß angerufen hatte, was hatte der Künstler mit Bumbar zu schaffen.
    Ich beobachtete das Paar am Nebentisch. Der junge Mann saß am Fenster, er war sehr blond und sehr mager und rauchte unheimlich viele Zigaretten, die Frau ihm gegenüber war etwas größer als er, aber vielleicht schien das auch nur so, weil sie mehr Platz einnahm im ganzen Bild. Die beiden erinnerten mich an uns, wenn wir ein Paar wären vielleicht, so dachte ich, während ich meinen Kaffee trank. Die Frau sprach sehr viel und schüttete extrem viel Zucker auf ihren Cappuccino, schob sich den süßen Milchschaum mit dem Löffel in den Mund; sie saß eine Tischbreite zu weit weg von ihm und sprach über das Ende von etwas, so dachte ich. Obwohl ich ihre Worte nicht verstehen konnte, sah ich dies im Gesicht des sehr blonden und sehr dünnen Mannes, der nun seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, als töte er eine dicke schwarze Fliege. Mir kam die Geschichte in den Sinn, von dem Paar, das in einem gottverlassenen Bergort in einem Hotel ankommt und den Erzähler, ein dorthin versetzter Inspektor, an sich selbst und seine Verlobte erinnert. Am nächsten Morgen findet man das Mädchen allein im Zimmer, vergiftet von Schlaftabletten, der junge Mann hatte das Hotel frühmorgens um vier verlassen, die Eltern des Mädchens reisen an, die auch die Eltern des Jungen sind, und es stellt sich heraus, dass die beiden Geschwister waren. Am Ende finden sie den jungen Mann erfroren an der Baumgrenze.
    Ich erzählte Jonas die Geschichte nicht, da gerade der Künstler eintrat. Er trug eine zerbeulte Trompete in der Hand. Der Künstler küsste mich auf die Wange und streckte Jonas die Hand hin. Er bestellte noch einen Espresso, den er in einem Zug austrank. Ihr seid also Geschwister, sagte er und musterte uns. Jonas streifte mich mit einem überraschten und verächtlichen Blick, als hätte ich ein Geheimnis verraten. Wir bezahlten und verließen das Café. Das Paar am Fenster war schon vor uns aufgebrochen.
    Zu dritt gingen wir die Straße hinunter. Der Künstler trug gelbe Gummihandschuhe, weil er verrückt war oder weil es kalt war und er keine anderen Handschuhe besaß. Er hielt immer noch die Trompete in der einen Hand. Aus den Türmen der Müllverbrennungsanlage stieg weißer Rauch in einen grauen Himmel, es war so kalt, dass der eigene Atem plastisch in der Luft erschien. Im Innenhof der Müllverbrennungsanlage setzte der Künstler die Trompete an die Lippen und blies einige Töne, dann eine Melodie, die mir bekannt vorkam, aber es fiel mir nicht ein, er brach wieder ab. Der Widerhall tönte von den hohen Mauern. Jonas sagte nichts, er verzog nicht einmal das Gesicht. Drinnen roch es nach Putzmittel. Katze?, fragte der Mann neben dem Rollband. Ich nickte. In diesem Land trennen sie sogar die toten Tiere, sagte Jonas. Ich legte den Karton auf das Förderband, er fuhr durch eine Öffnung in der Wand, ich stand da, mit leeren Händen. Ich dachte vielleicht, Jonas würde meine Hand nehmen, aber da er dies nicht tat, verschränkte ich die Arme und ging vor Jonas und dem Künstler hinaus, zurück in die helle

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