Das Weltgeheimnis (German Edition)
Bronzeskulpturen, Schwerter, Amphoren und Schmuck.
Die Marinetaucher förderten auch eine zerfallene Holzkiste zutage, die einen völlig verkrusteten Bronzeklumpen enthielt. Zusammen mit den anderen Fundstücken wurde die Schatulle zum Nationalmuseum nach Athen gebracht. Dort lag sie lange unbeachtet herum.
Was für einen archäologisch außergewöhnlichen Fund die Taucher geborgen hatten, stellte sich erst im Laufe von Forschungsarbeiten heraus, die sich bis ins Jahr 2008 hinein erstreckten. In dem vollständig korrodierten Bronzeklumpen ließen sich die Überreste von Zahnrädern erkennen. Mitte der 1950er-Jahre untersuchte der Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price von der Universität Yale das antike Fundstück mit modernen Instrumenten. Er machte Röntgenaufnahmen von dem zusammengebackenen Räderwerk und entdeckte bei der Durchleuchtung eine komplexe, in viele Einzelteile zerfallene Apparatur aus mehr als dreißig Zahnrädern unterschiedlicher Größe.
Jüngere Untersuchungen mit einem tonnenschweren Röntgentomografen haben bestätigt, was er vermutete: Es handelte sich um ein Planetarium. Das Zusammenspiel der Zahnräder spiegelte den Lauf der Sonne, des Mondes und der Planeten wider. Die Größe der Zahnräder, die zum Teil mehr als zweihundert winzige, von Hand gefeilte, dreieckige Zähne besaßen, war mit erstaunlicher Präzision auf die Umlaufgeschwindigkeiten von Sonne und Mond abgestimmt. Der Schreibweise der Monatsnamen zufolge stammte die Apparatur aus Korinth oder einer seiner Kolonien, zu denen auch Syrakus zählte. Möglich, dass sie in der mechanischen Tradition des Archimedes entstand.
Das zweitausend Jahre alte Getriebe war offenbar viel benutzt und an einigen Stellen repariert worden. Astronomen hatten damit Sonnen- und Mondfinsternisse im Voraus berechnet. Besonders überrascht zeigten sich die Forscher über die Entdeckung eines Bauteils, von dem man dachte, es sei erst sehr viel später erfunden worden: eines Differentialgetriebes. Schon damals vermittelte also ein solcher Adapter zwischen Zahnrädern mit unterschiedlichen Drehzahlen.
Bis zu dem sensationellen Fund der Himmelsuhr von Antikythera hatte man es kaum für möglich gehalten, dass schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert ein solches Glanzstück der Feinmechanik existierte. Zwar hatte Cicero in seinen Schriften die bronzenen Planetarien des Archimedes bewundernd erwähnt, aber von den gepriesenen Künsten der Himmelsmechaniker fehlte jede sichtbare Spur. Das praktische Wissen ging im Lauf der Jahrhunderte verloren, während die Theorie über die Planetenbewegungen in den Schriften weiterlebte.
Himmelsuhren
In der Renaissance sind zahnradgetriebene Planetarien wieder en vogue. Als Wunderwerke der Technik werden sie an den Höfen der europäischen Herrscher und in privaten Kunstsammlungen vorgeführt. In Prag zum Beispiel baut der Schweizer Jost Bürgi Himmelsgloben und Planetarien im Auftrag des habsburgischen Kaisers, der einige dieser Schmuckstücke an einflussreiche Persönlichkeiten wie den englischen König Jakob I. verschenkt.
Kepler ist begeistert von Bürgis Arbeiten. Er selbst hat Pläne für eine Himmelsuhr gezeichnet und vor der Veröffentlichung seines Weltgeheimnisses ein Planetenmodell in Form eines silbernen Trinkbechers entworfen, das er dem Herzog von Württemberg zu widmen gedenkt. In seinen Briefen vergleicht er Gott mit einem Uhrmacher, der den Fluss der Zeit in ein kosmisches Räderwerk übertragen habe, oder nennt ihn einen Baumeister, der »jegliches so ausgemessen hat, dass man meinen könnte, nicht die Kunst nehme sich die Natur zum Vorbild, sondern Gott selber habe bei der Schöpfung auf die Bauweise des kommenden Menschen geschaut«.
Warum die Himmelsuhr von Antikythera und Bürgis Meisterwerke die Gedanken der Astronomen so gut widerspiegeln, lässt sich an den Bauplänen der Maschinen ablesen. Ihre Konstruktion beruht auf einer eingängigen geometrischen Sprache: Die Bewegungen der Himmelskörper werden auf Zahnräder übertragen und damit auf Kreise zurückgeführt.
Die einfache Mathematik der Kreise hat die Vorstellungswelt der Astronomen über Jahrtausende hinweg beherrscht. Von Platon und Aristoteles bis zu Kopernikus und Brahe kann man sich die Regelmäßigkeit, mit der die Sonne sich am Himmel bewegt und mit der die Sterne Nacht für Nacht wiederkehren, schlicht nicht anders erklären als durch in sich geschlossene Kreise.
Um diese Vorstellung nachzuvollziehen, braucht man sich
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