Das Werk - 14
sie keinen Zorn gegen ihn, sie betete ihn an mit tränenvoller Zärtlichkeit, weil sie sah, wie er sich selber aufrieb.
Nach einigen Wochen glücklicher Arbeit mißriet alles, er kam nicht mehr zu Rande mit seiner großen Frauengestalt. Deshalb brachte er sein Modell vor Überanstrengung um, war tagelang wie besessen und ließ dann plötzlich alles für einen Monat liegen. Zehnmal wurde die Gestalt von vorn angefangen, wieder aufgegeben, völlig umgearbeitet. Ein Jahr, zwei Jahre verstrichen, ohne daß das Bild fertig wurde; mitunter war es fast fertig, und am nächsten Morgen wurde es wieder abgeschabt und mußte gänzlich neu gemacht werden.
Ach, diese Anstrengung des Schaffens beim Kunstwerk, diese Anstrengung unter Blut und Tränen, bei der er mit dem Tode rang, um Fleisch zu schaffen, um Leben einzuhauchen! Immer sich mit der Wirklichkeit herumschlagen und immer besiegt werden, das Ringen mit dem Engel! Er zerbrach an diesem unmöglichen Vorhaben, die ganze Natur in einem Gemälde festzuhalten, war mit der Zeit erschöpft von den ewigen Wehen, die seine Muskeln anspannten, ohne daß er jemals das Vollkommene, das Geniale, mit dem er schwanger ging, zu gebären vermochte. Das, womit die anderen zufrieden waren – die unvollkommene Wiedergabe, die notwendigen Mogeleien –, plagte ihn mit Gewissensbissen, entrüstete ihn wie eine feige Schwäche; und er begann wieder von vorn, und er verdarb das Gute um des Besseren willen, fand, daß das »nicht sprechend« sei, war unzufrieden mit seinen Prachtweibern, solange sie nicht mit ihm ins Bett gingen, wie die Kumpels scherzend sagten. Was fehlte ihm denn, daß er sie nicht lebendig schaffen konnte? Eine winzige Kleinigkeit zweifellos. Ein bißchen zuwenig, ein bißchen zuviel vielleicht. Eines Tages hatte ihm das Wort »unvollkommenes Genie«, das er in seinem Rücken gehört hatte, geschmeichelt und zugleich Schrecken eingejagt! Ja, daran mußte es wohl liegen, zu kurz oder zu weit gesprungen, das Überspanntsein der Nerven, unter dem er litt, die erbliche Zerrüttung, die paar Gramm Substanz zuviel oder zuwenig, die bewirkten, daß statt eines großen Mannes ein Verrückter herauskam. Wenn ihn ein Verzweiflungsanfall aus seinem Atelier jagte und er vor seinem Werk floh, trug er nun diese Vorstellung eines schicksalhaften Unvermögens in sich, er horchte, wie es in seinem Schädel pochte gleich dem harten Anschlagen einer Totenglocke.
Jammervoll wurde nun sein Dasein. Niemals hatte ihm der Zweifel an sich selbst so zugesetzt. Er war ganze Tage lang verschwunden; er verbrachte sogar eine Nacht außer Haus, kehrte am anderen Morgen verstört heim, ohne sagen zu können, woher er kam: man dachte, er habe sich wohl lieber in den Vororten herumgetrieben, um nicht wieder seinem verfehlten Werk gegenüberzustehen. Das einzig und allein verschaffte ihm Erleichterung: fliehen, sobald das Werk ihn mit Scham und Haß erfüllte, erst wieder zum Vorschein kommen, wenn er in sich den Mut fühlte, dem Werk wiederum trotzen zu können. Und bei seiner Rückkehr wagte nicht einmal seine Frau, ihn zu fragen, war viel zu glücklich, ihn nach dem bangen Harren wiederzusehen. Er rannte wütend durch Paris, vor allem durch die Vororte, weil er das Bedürfnis verspürte, sich mit dem Pöbel gemein zu machen, mit den Tagelöhnern zu leben, und bei jeder Krise äußerte er seinen alten Wunsch, ein Maurerlehrling zu sein. Bestand das Glück nicht darin, feste Glieder zu haben, die rasch und gut die Arbeit verrichteten, für die sie geschaffen waren? Er hatte sein Dasein verpfuscht, er hätte sich damals anwerben lassen sollen, als er noch bei Gomard im »Chien de Montargis« zu Mittag aß, wo er mit einem Mann aus dem Limousin96 befreundet war, einem großen, kreuzfidelen Kerl, den er um seine kräftigen Arme beneidete. Wenn er dann mit zerschlagenen Beinen und leerem Schädel in die Rue Tourlaque heimkehrte, warf er auf seine Malerei denselben herzzereißenden, bangen Blick, mit dem man in einem Sterbezimmer eine Tote anzuschauen wagt, bis eine neue Hoffnung, sie wiederauferstehen zu lassen, sie endlich lebend zu schaffen, ihm wieder eine Flamme ins Gesicht steigen ließ. Eines Tages stand Christine ihm wieder Modell, und die Frauengestalt sollte wiederum einmal bald fertig sein. Aber seit einer Stunde war Claude mißmutig, verlor die kindliche Freude, die er anfangs gezeigt hatte.
Christine wagte deshalb auch kaum Luft zu holen, weil sie an ihrem eigenen Unbehagen spürte, daß wieder
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