Das Werk - 14
nackten Badenden zu lassen … Das läßt sich durch nichts erklären, versichere ich dir, und du hattest mir doch versprochen, ihnen etwas anzuziehen, erinnerst du dich? – Dir liegt also viel an diesen Frauen?«
»Ja.«
Claude antwortete trocken mit der Hartnäckigkeit der fixen Idee, die es verschmäht, auch nur Gründe anzuführen. Er hatte seine Arme hinter dem Nacken verschränkt, er fing an, von etwas anderem zu reden, ohne dabei sein Bild aus den Augen zu lassen, das die Dämmerung mit einem feinen Schatten zu verdüstern begann.
»Du weißt nicht, wo ich herkomme? Ich komme von Courajod. – Na? Von dem großen Landschaftsmaler, dem Maler des ›Teichs von Gagny‹, der im LuxembourgMuseum hängt! Du erinnerst dich doch, ich glaubte, er sei tot, und wir haben erfahren, daß er in einem Haus hier in der Nähe wohnt, auf der anderen Seite des Montmartre in der Rue de l’Abreuvoir … Nun ja, Alter, der ließ mir keine Ruhe, der Courajod. Als ich einmal Luft schöpfen gegangen bin, wie ich das mitunter tue, habe ich schließlich seine Bude entdeckt, ich konnte nicht mehr vorbeigehen, ohne das Verlangen zu verspüren, mal hineinzusehen. Denke doch, ein Meister, ein toller Kerl, der unsere jetzige Landschaft erfunden hat und der dort lebt, unbekannt, erledigt, vergraben wie ein Maulwurf! – Außerdem hast du ja weder eine Vorstellung von der Straße noch von der Bude: eine Straße wie auf dem Lande, voller Federvieh, zu beiden Seiten mit Gras bewachsene Böschungen; eine Bude wie aus einer Spielzeugschachtel, mit kleinen Fenstern, einer kleinen Tür, einem kleinen Garten, oh, der Garten, ein Fleckchen Erde am steilen Abhang, auf dem vier Birnbäume stehen und auf dem man nicht treten kann, weil da ein regelrechter Hühnerstall zusammengebaut ist aus grünschimmeligen Brettern, altem Gips, einem mit Schnüren zusammengebundenen eisernen Gitterzaun.« Er sprach langsamer, er blinzelte mit den Lidern, als sei die Sorge um sein Bild unaufhaltsam in ihn eingedrungen und habe ihn nach und nach so überwältigt, daß er sich in dem, was er sagen wollte, gehemmt fühlte. »Heute, da erblicke ich nun Courajod gerade vor seiner Tür … Ein Greis von über achtzig Jahren, zusammengeschrumpft, wieder kleiner geworden, nur noch so groß wie ein kleiner Lausbub. Nein! Man muß ihn gesehen haben, mit seinen Holzschuhen, seiner Bauernstrickjacke, seinem Altweiberkopftuch … Und tapfer trete ich näher und sage zu ihm: ›Herr Courajod, ich kenne Sie gut, es hängt im LuxembourgMuseum ein Bild von Ihnen, ein Meisterwerk, gestatten Sie einem Maler, Ihnen als einem unserer Meister die Hand zu drücken.‹ Ach, wenn du gesehen hättest, wie er da auf einmal Angst bekam, stammelte, zurückwich, als hätte ich ihn schlagen wollen. Er floh richtig … Ich bin ihm nachgegangen, er hat sich dann beruhigt, hat mir seine Hühner, seine Enten, seine Kaninchen, seine Hunde gezeigt, eine ungewöhnliche Menagerie, in der es sogar einen Raben gibt! Er lebt mitten unter all dem Viehzeug, er spricht nur noch von seinen Tieren. Aber eine herrliche Aussicht, die ganze Ebene von SaintDenis, Meilen und Meilen weit, mit Flüssen, Städten, qualmenden Fabriken, schnaufenden Zügen. Kurzum, ein richtiges Einsiedlernest auf dem Berge, das Paris den Rücken kehrt und die Augen der grenzenlosen Flur dort unten zuwendet … Natürlich bin ich wieder auf meine Sache zurückgekommen. ›Oh, Herr Courajod, was für ein Talent! Wenn Sie wüßten, wie sehr wir Sie bewundern! Sie sind einer von denen, auf die wir stolz sind, Sie werden gleichsam unser aller Vater bleiben.‹ Seine Lippen hatten wieder angefangen zu zittern, er sah mich in blödem Entsetzen an, er hätte mich mit keiner flehenderen Gebärde von sich weisen können, wenn ich vor ihm die Leiche irgendeines Bekannten aus seiner Jugend ausgegraben hätte; und er mummelte zwischen seinem Zahnfleisch zusammenhanglose Worte, das Gelispel eines wieder kindisch gewordenen Greises, das unmöglich zu verstehen war: ›Weiß nicht … so weit weg … zu alt … mir egal …‹ Kurzum, er hat mich rausgeschmissen, ich habe gehört, wie er heftig seinen Schlüssel umdrehte, wie er sich samt seinen Tieren gegen die Bewunderungsversuche der Straße verrammelte … Ach, dieser große Mann, der nun endet wie ein Gewürzkrämer im Ruhestand, diese freiwillige Rückkehr zum Nichts, noch vor dem Tode! Ach, der Ruhm, der Ruhm, für den wir andern sterben!«
Seine Stimme war immer gedämpfter geworden und dann
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