Das Werk - 14
in dem man vor Traurigkeit trotz des hellen Februarnachmittags mit den Zähnen klapperte.
Schweren Schrittes war Christine zu dem eisernen Bett, das Sandoz beim Hereinkommen nicht bemerkt hatte, gegangen und hatte sich daneben auf einen Stuhl gesetzt.
»Was?« fragte er. »Ist Jacques etwa krank?«
Sie deckte das Kind wieder zu, das mit seinen Händen unaufhörlich die Bettdecke wegstieß.
»Ja, seit drei Tagen ist er nicht mehr aufgestanden. Wir haben sein Bett hier reingetragen, damit er bei uns ist … Oh, er ist niemals sehr widerstandsfähig gewesen. Aber jetzt wird er immer weniger, es ist zum Verzweifeln.«
Sie starrte vor sich hin und redete mit eintöniger Stimme, und Sandoz erschrak, als er näher trat.
Der Kopf des Kindes, der ganz bleich war, schien noch dicker geworden zu sein, so schwer war der Schädel nun, daß er nicht mehr hochgehalten werden konnte. Der Kopf lag da ohne ein Lebenszeichen, man hätte meinen können, er sei schon tot, wenn der heftige Atem nicht gewesen wäre, der zwischen den farblosen Lippen hindurchging.
»Mein kleiner Jacques, ich bin’s, dein Patenonkel … Willst du mir denn nicht guten Tag sagen?«
Mühsam machte der Kopf eine vergebliche Anstrengung hochzukommen, die Lider öffneten sich einen Spalt und ließen das Weiß der Augen sehen, dann schlossen sie sich wieder.
»Aber Sie sind doch beim Arzt gewesen?«
Sie zuckte kurz die Achseln.
»Ach, die Ärzte, was wissen die denn schon? – Es ist einer gekommen, und er hat gesagt, daß da nichts zu machen ist … Hoffen wir, daß das wieder mal Aufregung um nichts ist. Er ist jetzt zwölf Jahre. Das ist das Wachstum.«
Zu Eis erstarrt, schwieg Sandoz, um Christine nicht noch mehr zu beunruhigen, denn sie schien nicht zu sehen, wie schlimm es um den Kleinen stand. Er ging schweigend auf und ab, dann blieb er vor dem Bild stehen.
»Aha, das macht Fortschritte. Dieses Mal ist er auf dem richtigen Wege.«
»Es ist fertig.«
»Was? Fertig?«
Und als sie hinzugefügt hatte, daß das Gemälde in der folgenden Woche zum Salon gehen sollte, war ihm beklommen zumute, er setzte sich auf den Diwan, wie jemand, der sich ohne Eile ein Urteil bilden möchte. Der Hintergrund, die Quais, die Seine, aus der sieghaft die Spitze der Cité aufstieg, blieben im Zustand eines Entwurfs, aber eines meisterhaften Entwurfs, als habe der Maler Angst gehabt, das Paris seiner Träume zu verschandeln, wenn er es noch weiter zu Ende ausführte. Links befand sich auch eine ausgezeichnete Gruppe, die Schauerleute, die Gipssäcke ausluden, sehr gut durchgearbeitete Einzelheiten waren das da, von einer schönen Kraft der Faktur. Nur das Boot mit den Frauen in der Mitte durchbohrte das Bild mit dem Flammen des Fleisches, das hier fehl am Platze war; und vor allem die im Fieber gemalte große nackte Gestalt strahlte grell, wuchs heraus wie das Wahnbild einer befremdenden und bestürzenden Unwahrheit inmitten der Wirklichkeit ringsum.
Sandoz schwieg, verzweifelt angesichts dieser herrlichen Mißgeburt. Aber er begegnete Christines Augen, die starr auf ihn gerichtet waren, und er brachte die Kraft auf zu murmeln:
»Erstaunlich, oh, erstaunlich, diese Frau!«
Übrigens kehrte Claude im selben Augenblick heim. Er stieß einen Freudenschrei aus, als er seinen alten Freund erblickte, und drückte ihm kräftig die Hand. Dann trat er zu Christine heran, küßte den kleinen Jacques, der wieder die Decke weggestoßen hatte.
»Wie geht es ihm?«
»Immer dasselbe.«
»Gut, gut, er wächst zu sehr, die Ruhe wird ihn wieder auf die Beine bringen. Ich habe dir ja gesagt, daß man sich nicht zu beunruhigen braucht.«
Und Claude setzte sich neben Sandoz auf den Diwan. Beide machten es sich bequem, lehnten sich hintüber, und halb liegend, ließen sie die Blicke über das Bild hinwandern, während Christine, die neben dem Bett saß, nicht hinsah, an nichts zu denken schien in der ständigen Trostlosigkeit ihres Herzens. Allmählich kam die Nacht, das lebhafte Licht des Atelierfensters verblaßte bereits, wurde farblos beim Einbruch der Dämmerung, die eintönig und träge war.
»Es steht also fest, hat deine Frau mir gesagt, daß du es hinschickst.«
»Ja.«
»Du hast recht, das Ding muß endlich rauskommen … Oh, es sind da Einzelheiten! Diese fliehende Linie des Quais links; und der Mann da unten, der einen Sack anhebt … Bloß …« Er zögerte, er wagte schließlich einzuwenden: »Bloß das ist komisch, daß du dich so darauf versteift hast, diese
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