Das Werk - 14
in einem großen, schmerzlichen Seufzer erloschen.
Die Nacht rückte weiter vor, eine Nacht, deren Woge sich nach und nach in den Winkeln angestaut hatte und nun mit langsamem Hochwasser unerbittlich anschwoll, die Beine des Tisches und der Stühle, die ganze Unordnung der auf dem Fliesenfußboden herumliegenden Sachen überschwemmte. Schon ertrank der untere Teil des Gemäldes; und mit verzweifelt starren Augen schien er zu studieren, wie die Finsternis weiter um sich griff, als habe er sich in dieser Sterbestunde des Tages endlich ein Urteil über sein Werk gebildet, während man in dem tiefen Schweigen nur noch den rauhen Atem des kleinen Kranken hörte, neben dem noch unbeweglich der schwarze Schattenriß der Mutter aufragte.
Da sprach Sandoz nun auch, der die Arme ebenfalls hinter dem Nacken verschränkt und den Rücken gegen ein Diwankissen gelehnt hatte.
»Weiß man es denn? Ist es nicht besser, unbekannt zu leben und zu sterben? Was für ein Schwindel, wenn dieser Ruhm des Künstlers nicht mehr Bestand hat als das Paradies des Katechismus, über das sich sogar die Kinder schon lustig machen! Wir glauben nicht an Gott, wir glauben an unsere Unsterblichkeit … Ach, was für ein Elend!« Und von der Schwermut der Abenddämmerung durchdrungen, beichtete er, er sprach von seinen eigenen Qualen, die wachgerufen wurden durch alles, was er hier an menschlichem Leid spürte. »Sieh mal, ich, den du vielleicht beneidest, Alter, ja, ich, der ich anfange, meine Schwarten herauszubringen und Geld zu machen, wie die Spießer sagen, nun ja, ich, ich sterbe daran … Ich habe es dir oft gesagt, aber du glaubst mir ja nicht, weil das Glück für dich, der du mit soviel Mühe etwas zustande bringst, der du das Publikum nicht erreichen kannst, natürlich darin bestünde, viel zustande zu bringen, gesehen, gepriesen oder verrissen zu werden … Ach, werde doch angenommen beim nächsten Salon, tritt ein in den Trubel, mach andere Bilder, und dann sag mir, ob dir das genügt, ob du endlich glücklich bist … Höre, die Arbeit hat mein Dasein mit Beschlag belegt. Nach und nach hat sie mir meine Mutter, meine Frau, alles, was ich liebe, gestohlen. Das ist der in den Schädel gesetzte Keim, der das Hirn frißt, der den Rumpf, die Glieder befällt, der den ganzen Leib zernagt. Sobald ich am Morgen aus dem Bett springe, packt mich die Arbeit, nagelt mich fest an meinen Tisch, ohne daß sie mich auch nur einen Atemzug frische Luft schöpfen läßt; dann folgt sie mir zum Mittagessen, dumpf kaue ich meine Sätze zusammen mit meinem Brot; dann begleitet sie mich, wenn ich fortgehe und heimkehre, um aus meinem Teller zu Abend zu essen, legt sich auf meinem Kopfkissen schlafen, ist so unerbittlich, daß ich niemals die Macht gehabt habe, das angefangene Werk zu unterbrechen, das weiterwucherte, sogar wenn ich tief im Schlaf lag … Und außer ihr gibt es nichts mehr, ich gehe hinauf zu meiner Mutter und küsse sie, so zerstreut, daß ich mich zehn Minuten später frage, ob ich ihr auch wirklich guten Tag gesagt habe. Meine arme Frau hat keinen Gatten, ich bin nicht mehr bei ihr, sogar dann nicht, wenn sich unsere Hände berühren. Mitunter habe ich das scharfe Gefühl, daß ich ihnen die Tage traurig mache, und ich habe schwere Gewissensbisse deswegen, denn das Glück in einer Ehe besteht einzig aus Güte, aus Offenheit und Frohsinn; aber kann ich denn den Klauen des Ungeheuers entweichen? Sofort verfalle ich wieder in die Schlaftrunkenheit der schöpferischen Stunden, in die Gleichgültigkeit und die Mürrischkeit, die meine fixe Idee mit sich bringt. Es geht um so besser, wenn ich mit den Seiten am Morgen gut vorwärtsgekommen bin, und um so schlimmer, wenn ich bei einer von ihnen steckengeblieben bin! Das Haus muß lachen oder weinen, je nach dem gnädigen Willen der unersättlichen Arbeit … Nein! Nein! Nichts gehört mir mehr; ich habe in meinen Elendstagen geträumt von Ruhe auf dem Lande, von Reisen in die Ferne; und heute, wo ich mir das gönnen könnte, ist das begonnene Werk da, das mich wie ins Kloster einsperrt; nicht ein Spaziergang in der Morgensonne, nicht ein lustiger Streich mit einem Freund, nicht eine Narretei aus Müßiggang! Sogar mein Wille muß dran glauben, ich habe die Gewohnheit angenommen, hinter mir die Tür für jedermann verschlossen zu halten, und ich habe den Schlüssel aus dem Fenster geworfen … Nichts mehr, nichts mehr in meinem Loch als die Arbeit und ich, und sie frißt mich auf, und dann wird
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