Das Werk - 14
Überraschung immerzu: »Wieso ist er tot?«
Eine Weile standen sie starr vor Verwunderung über das Bett gebeugt. Das arme Wesen, das da auf dem Rücken lag, mit dem zu dicken Kinderkopf eines Genies, der so übermäßig aufgetrieben war wie bei Blödsinnigen, schien sich seit gestern abend nicht gerührt zu haben; nur sein farbloser, breit aufklaffender Mund atmete nicht mehr, und seine leeren Augen waren offen.
Der Vater berührte ihn, er war eiskalt.
»Es stimmt, er ist tot.«
Und sie waren dermaßen beklommen, daß sie noch eine Weile mit trockenen Augen stehenblieben, waren einzig erschüttert von der Brutalität des Ereignisses, das sie noch nicht glauben konnten.
Dann knickten Christines Knie ein, sie brach vor dem Bett zusammen; und sie weinte mit lautem Schluchzen, das sie durch und durch schüttelte, rang die Arme, lag mit der Stirn auf der Kante der Matratze. In diesem ersten furchtbaren Augenblick wurde ihre Verzweiflung vor allem wegen der bohrenden Gewissensbisse noch schlimmer, die sie quälten, weil sie das arme Kind nicht genug geliebt hatte. In einer raschen Vision rollten die Tage ab, jeder von ihnen brachte ihr neues Bedauern, schlimme Worte, versäumte Zärtlichkeiten, Derbheiten mitunter. Und nun war es aus, niemals mehr würde sie ihn dafür entschädigen können, daß sie ihm ihr Herz gestohlen hatte. Er, den sie so ungehorsam fand, er hatte jetzt nur zu gut gehorcht. Sie hatte ihm, wenn er spielte, so viele Male gesagt: »Verhalte dich still, laß deinen Vater arbeiten!«, daß er am Ende artig war für immer. Dieser Gedanke erstickte sie, jedes Schluchzen entriß ihr einen dumpfen Schrei.
Claude hatte angefangen auf und ab zu wandern, weil er es vor Nervosität nicht auf einer Stelle aushielt. Sein Gesicht zuckte krampfhaft, er weinte nur wenige dicke Tränen, die er sich regelmäßig mit dem Handrücken fortwischte. Und wenn er an dem kleinen Leichnam vorbeikam, konnte er nicht umhin, einen Blick darauf zu werfen. Die starren, weitoffenen Augen schienen Gewalt über ihn zu haben. Zunächst widerstand er, der wirre Gedanke trat klarer hervor, schließlich war Claude davon besessen. Er gab endlich nach, er holte eine kleine Leinwand, begann eine Studie des toten Kindes. Während der ersten Minuten hinderten ihn seine Tränen am Sehen, weil sie alles in einem Nebel ertränkten: er wischte sie immer wieder weg, starrköpfig malte er mit zitterndem Pinsel. Dann trocknete die Arbeit seine Lider, gab seiner Hand Sicherheit; und bald war da nicht mehr sein eiskalter Sohn, da war nur noch ein Modell, ein Sujet, das ein seltsames Interesse in ihm wachrief und ihn in Leidenschaft versetzte. Diese übertriebene Zeichnung des Kopfes, dieser wächserne Ton des Fleisches, diese gleich Löchern ins Leere offenen Augen, alles reizte ihn, erhitzte ihn wie eine Flamme. Er trat zurück, fand Gefallen daran, lächelte unbestimmt seinem Werk zu.
Als Christine wieder aufstand, fand sie ihn so bei der Arbeit. Da sagte sie unter wieder hervorstürzenden Tränen lediglich:
»Ach, jetzt kannst du ihn malen, er rührt sich nicht mehr!«
Fünf Stunden lang arbeitete Claude, und als Sandoz ihn nach der Beerdigung am übernächsten Tage vom Friedhof nach Hause begleitete, bebte er vor Mitleid und Bewunderung angesichts des kleinen Gemäldes. Das war eines der guten Stücke von einst, ein Meisterwerk an Klarheit und Kraft, dazu eine unendliche Traurigkeit, das Ende von allem, das Leben, das den Tod dieses Kindes starb.
Aber Sandoz, der des Lobes voll war und kein Hehl daraus machte, war erschüttert, als er hörte, wie Claude zu ihm sagte:
»Wirklich, dir gefällt das? – Also dann bringst du mich zu einem Entschluß. Da das andere Dings nicht fertig ist, werde ich das hier beim Salon einreichen!«
Kapitel X
Claude hatte »Das tote Kind« gerade einen Tag zuvor in das Palais de l’Industrie gebracht, als er an einem Vormittag, an dem er in der Gegend des Parc Monceau herumstrich, Fagerolles begegnete.
»Wie? Du bist’s, Alter!« rief dieser herzlich. »Und was treibst du denn, was machst du denn? Man sieht sich ja sowenig!« Als Claude ihm erzählte, daß er das kleine Gemälde, von dem er noch ganz erfüllt war, zum Salon eingereicht habe, fügte Fagerolles hinzu: »Ach! Du hast etwas eingereicht, da werde ich aber dafür sorgen, daß es angenommen wird. Du weißt, in diesem Jahr kandidiere ich für die Jury!«
Tatsächlich hatte die Verwaltung wegen des Gezeters und der ewigen Unzufriedenheit der
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