Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
ganzen Atelier, das in eine unheimliche schwarze Dunkelheit gesunken war, wahrte allein die große Leinwand eine Blässe, einen letzten Rest schwindenden Tageslichts. Gleich der Erscheinung einer Sterbenden sah man die nackte Gestalt schweben, aber ohne klare Formen, die Beine waren bereits verschwunden, ein Arm weggefressen, deutlich war nur die Rundung des Bauches, dessen Fleisch mondfarben schimmerte.
    Nach einem langen Schweigen fragte Sandoz: »Möchtest du, daß ich mitkomme, wenn du dein Bild hinbringst?«
    Da Claude nicht antwortete, glaubte er, ihn weinen zu hören. War das die unendliche Traurigkeit, die Hoffnungslosigkeit, von der er soeben selber geschüttelt worden war? Er wartete, er wiederholte seine Frage; und nachdem der Maler ein Schluchzen heruntergewürgt hatte, stammelte er endlich:
    »Danke, Alter, das Bild bleibt hier, ich werde es nicht einreichen.«
    »Wieso, du warst doch entschlossen?«
    »Ja, ja, ich war entschlossen … Aber ich hatte es noch gar nicht gesehen, jetzt, in diesem abnehmenden Tageslicht, habe ich es eben gesehen … Ach, es ist mißraten, wieder mal mißraten, ach, das hat mich ins Auge gehauen wie ein Faustschlag, das hat meinem Herzen einen tüchtigen Stich versetzt.«
    Langsam und lau rannen nun seine Tränen in der Dunkelheit, die ihn verbarg. Er hatte sich zusammengenommen, und das Drama, dessen stumme, bange Beklemmung ihn verhehrt hatte, brach gegen seinen Willen los.
    »Mein armer Freund«, murmelte Sandoz bestürzt, »es kommt mich hart an, das zu sagen, aber du hast vielleicht recht, trotzdem zu warten, um noch Einzelheiten sorgfältig auszuarbeiten … Bloß ich bin wütend auf mich, denn ich werde glauben, daß ich dir durch meine ewige alberne Unzufriedenheit mit manchen Dingen den Mut genommen habe.«
    Claude antwortete lediglich:
    »Du! Was für ein Gedanke! Ich habe nicht auf dich gehört … Nein, ich habe zugesehen, wie auf diesem verdammten Gemälde plötzlich alles abhaute. Das Licht nahm ab, und es hat im letzten bißchen, sehr feinen Tageslicht einen Augenblick gegeben, da habe ich jäh klargesehen: ja, nichts hält stand, allein der Hintergrund ist hübsch, die nackte Frau kracht hinein wie ein Knallfrosch, steht nicht einmal fest da, die Beine sind schlecht … Ach, man könnte auf der Stelle verrecken, mir ist zumute gewesen, als hake das Leben in meinem Gerippe aus … Dann ist die Finsternis mehr und mehr darüber geflossen: ein Taumel, ein Sturz in den Abgrund, die ins Nichts der Leere gerollte Erde, das Ende der Welt! Ich habe bald nichts weiter mehr gesehen als ihren Bauch, schwindsüchtig wie ein abnehmender Mond. Und da, da! Jetzt ist nichts mehr da von ihr, kein Schimmer mehr, sie ist tot, ist ganz schwarz!«
    Tatsächlich war das Bild nun auch völlig verschwunden.
    Der Maler war jedoch aufgestanden, man hörte ihn in der stockdunklen Nacht fluchen:
    »Himmelsakrament! Das macht nichts … Ich werde mich wieder dranmachen …«
    Christine, die auch von ihrem Stuhl aufgestanden war und gegen die er gestoßen war, unterbrach ihn:
    »Warte, ich zünde die Lampe an.«
    Sie zündete die Lampe an, sehr blaß tauchte sie aus dem Dunkel auf und warf einen furcht und haßerfüllten Blick auf das Bild. Was? Es kam also nicht fort, der Greuel begann wieder von vorn!
    »Ich werde mich wieder dranmachen«, wiederholte Claude, »und es wird mich umbringen, und es wird meine Frau umbringen, mein Kind, die ganze Bude, aber es wird ein Meisterwerk werden, Himmelsakrament!«
    Christine setzte sich, man kam wieder auf Jacques zu sprechen, der sich mit seinen fahrig tastenden Händchen schon wieder aufgedeckt hatte. Er keuchte immerzu, lag ohne ein Lebenszeichen da, der Kopf war im Kissen versunken, gleich einer Last, unter der das Bett krachte.
    Als Sandoz wegging, brachte er seine Befürchtungen zum Ausdruck. Die Mutter sah verstört aus, der Vater kehrte bereits vor sein Gemälde zurück, das zu schaffende Werk, dessen leidenschaftliche Illusion in ihm den Sinn für die schmerzliche Wirklichkeit ertötete, für sein Kind, dieses lebende Fleisch von seinem Fleisch.
    Am folgenden Morgen zog sich Claude gerade fertig an, als er Christines verstörte Stimme hörte. Auch sie war soeben aus dem Schlaf hochgefahren, aus dem schweren Schlaf, in den sie auf dem Stuhl neben dem Bett des Kranken gesunken war.
    »Claude! Claude! Komm doch … Er ist tot.«
    Claude kam mit verquollenen Augen strauchelnd angerannt, ohne noch zu verstehen, und wiederholte mit tiefer

Weitere Kostenlose Bücher