Das Werk - 14
nichts mehr dasein, nichts mehr!«
Er schwieg, abermaliges Schweigen herrschte im zunehmenden Dunkel. Dann begann er mühsam wieder: »Wenn man sich wenigstens noch Befriedigung verschaffte, wenn man noch irgendeine Freude bei diesem Hundedasein hätte! – Ach, ich weiß nicht, wie die Leute es anstellen, die beim Arbeiten Zigaretten rauchen und sich selig den Bart kraulen. Ja, anscheinend gibt es welche, für die das Schaffen ein leichtes Vergnügen ist, das sie mir nichts, dir nichts aufnehmen und wieder sein lassen, ohne daß sie auch nur im geringsten das Fieber packt. Sie sind entzückt, sie bewundern sich, sie können keine zwei Zeilen schreiben, die nicht zwei Zeilen von seltener ausgezeichneter, einzigartiger Qualität sind … Na ja, ich, ich muß mit der Geburtszange entbinden, und das Kind kommt mir trotzdem greulich vor. Ist es möglich, daß man so frei von Zweifeln ist, um an sich zu glauben? Mich verblüfft es immer, wenn ich fidele Kerle sehe, die den anderen wütend alles absprechen, aber jeden kritischen Sinn, jeden gesunden Menschenverstand verlieren, wenn es um ihre eigenen Bastarde geht. Ach, so ein Buch, das ist etwas sehr Häßliches! Man darf in der ganzen Sudelküche nicht Bescheid wissen, um ein Buch zu lieben … Ich rede nicht von den Kübeln voller Schmähungen, die über einem ausgegossen werden. Statt mich zu hindern, reizen sie mich eher noch mehr auf. Ich kenne welche, die sich von den Angriffen umwerfen lassen, die das wenig stolze Bedürfnis haben, sich Sympathien zu schaffen. Bloßes Verhängnis der Natur, manche Frauen sterben daran, wenn sie nicht gefallen. Aber die Schmähungen sind gesund, die Unbeliebtheit ist eine männliche Schule, nichts erhält einen so geschmeidig und kräftig wie das Gejohle der Dummköpfe. Es genügt, sich zu sagen, daß man sein Leben an ein Werk gegeben hat, daß man weder sofortige Gerechtigkeit noch auch nur eine ernsthafte Prüfung erwartet, daß man schließlich ohne Hoffnung irgendwelcher Art arbeitet, einzig und allein, weil die Arbeit einem unter der Haut pocht wie das Herz, unabhängig von unserem Willen; und es kann einem sehr wohl passieren, daß man darüber stirbt, mit der tröstlichen Illusion, daß man eines Tages doch noch geliebt werden wird … Ach, wenn die anderen wüßten, auf was für eine lustige Art ich ihre Zornesausbrüche ertrage! Bloß ich bin eben auch noch da, und ich, ich gehe mit mir vernichtend ins Gericht, härme mich so, daß ich keine Minute mehr glücklich leben kann. Mein Gott! Was für furchtbare Stunden schon von dem Tage an, an dem ich einen Roman beginne! Die ersten Kapitel gehen noch, ich habe Spielraum, so daß ich Genie haben kann; dann bin ich verloren, bin niemals mit der täglichen Aufgabe zufrieden, verdamme bereits das angefangene Werk, halte es für minderwertiger als die vorhergehenden, schmiede mir aus Seiten, Sätzen, Worten solche Qualen, daß selbst die Kommata so häßlich werden, daß ich darunter leide. Und wenn das Werk fertig ist, ach, wenn es fertig ist, was für eine Erleichterung! Nein, nicht dieses Behagen des feinen Herrn, der in Schwärmerei gerät bei der Vergötterung seines Sprößlings, sondern der Fluch eines Lastträgers, der die Last abwirft, die ihm das Rückgrat zerbrochen hat … Dann fängt das wieder von vorn an; dann fängt das immer wieder von vorn an; dann werde ich daran verrecken, wütend auf mich selber, außer mir, daß ich nicht mehr Talent gehabt habe, rasend darüber, daß ich kein Werk hinterlasse, das vollkommener, bedeutender ist, Bücher über Bücher, ein ganzes Gebirge; und ich werde beim Sterben den gräßlichen Zweifel haben, ob ich meine Arbeit auch geschafft habe, ich werde mich fragen, ob das auch gut war, ob ich nicht hätte nach links gehen müssen, wenn ich nach rechts gegangen bin, und mein letztes Wort, mein letztes Röcheln wird den Willen ausdrücken, alles noch mal zu machen …« Rührung hatte ihn erfaßt, die Stimme versagte ihm, er mußte einen Augenblick verschnaufen, bevor er den leidenschaftlichen Schrei ausstieß, in dem all sein verstocktes hysterisches Schwärmen aufflog: »Ach, ein Leben, ein zweites Leben, wer wird mir eines geben, damit die Arbeit es mir wieder stiehlt und damit ich wiederum daran sterbe!«
Es war Nacht geworden, man konnte den starren Schattenriß der Mutter nicht mehr erkennen, es war, als käme der heisere Atem des Kindes aus der Finsternis, einer ungeheuren, fernen Todesangst, die von den Straßen aufstieg. Im
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