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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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dem diese zwanzig, dreißig Namen gleichzeitig von verschiedenen Stimmen inmitten des unausgesetzten Summens der Menge geschrien wurden. Da er nichts ohne Leidenschaft zu tun vermochte, regte er sich auf, war verzweifelt, wenn ein Stimmzettel nicht Fagerolles’ Namen enthielt, und war glücklich, sobald er diesen Namen einmal mehr hatte hinschmettern können. Übrigens genoß er diese Freude oft, denn der Kumpel hatte sich beliebt gemacht, indem er sich überall zeigte, die Cafés besuchte, in denen sich einflußreiche Gruppen aufhielten, sogar ein Wahlprogramm vorzulegen wagte, den Jungen gegenüber Verpflichtungen einging, ohne es zu verabsäumen, die Mitglieder des Institut de France sehr tief zu grüßen. Eine allgemeine Sympathie zeigte sich, Fagerolles war da gleichsam das Schoßkind aller.
    Gegen sechs Uhr brach an diesem regnerischen Märztag die Nacht herein. Die Diener brachten die Lampen; und mißtrauische Künstler, stumme und düstere Profile, die mit scheelem Blick beim Auszählen aufpaßten, traten näher heran. Andere begannen Ulk zu machen, wagten Tierschreie, versuchten sich in einem Jodler. Aber erst gegen acht Uhr, als man den Imbiß auftrug, kaltes Fleisch und Wein, strömte die Fröhlichkeit über. Man leerte ungestüm die Flaschen, man stopfte sich voll, wie man gerade die Platten erwischte, es ging in diesem riesigen Saal, den die Scheite im Kamin mit dem Schein eines Schmiedefeuers erhellten, ausgelassen zu wie bei einer Kirmes. Dann rauchten alle, Qualm umnebelte das gelbe Licht der Lampen; auf dem Parkett lagen die während der Abstimmung weggeworfenen Wahlscheine herum, eine dichte Schicht von Papierfetzen, obendrein noch schmutzig von lauter Korken, Brotkrümeln, einigen zerbrochenen Tellern, ein richtiger Misthaufen, in dem die Absätze der Stiefel einsanken. Man ließ sich gehen, ein kleiner blasser Bildhauer stieg auf einen Stuhl, um eine Ansprache an das Volk zu halten; ein Maler mit steifem Schnurrbart unter einer Hakennase setzte sich rittlings auf einen Stuhl und galoppierte um den Tisch, grüßte nach allen Seiten und machte den Kaiser nach.
    Allmählich jedoch wurden viele müde und gingen fort. Gegen elf Uhr waren nur noch zweihundert da. Aber nach Mitternacht erschienen wieder Leute, Bummler in Frack und weißer Krawatte, die aus dem Theater oder von einer Abendveranstaltung kamen und denen das Verlangen keine Ruhe ließ, eher als Paris die Ergebnisse der Abstimmung zu erfahren. Es kamen auch Berichterstatter; und man sah, wie sie einer nach dem anderen aus dem Saal stürzten, sobald ihnen ein Teilergebnis mitgeteilt wurde.
    Claude, der ganz heiser geworden war, las immer noch Namen vor. Der Rauch und die Hitze wurden unerträglich, von der schmierigen Streu auf dem Fußboden stieg ein Viehstallgeruch auf. Es schlug ein Uhr morgens, dann zwei Uhr. Er zählte aus, er zählte aus, und die Gewissenhaftigkeit, mit der er diese Tätigkeit ausführte, brachte ihn so in Rückstand, daß die anderen Büros längst ihre Arbeit beendet hatten, als das seine noch in langen Zahlenkolonnen festsaß. Als dann endlich alle Additionen zusammengefaßt waren, verkündete man das Endergebnis. Fagerolles wurde der fünfzehnte von vierzig, lag fünf Plätze vor Bongrand, der auf derselben Liste gestanden hatte, dessen Name aber wohl oft ausgestrichen worden war. Und der Tag graute schon, als Claude zerschlagen und entzückt in die Rue Tourlaque heimkehrte.
    Dann lebte er zwei Wochen hindurch in Ängsten. Wohl zehnmal kam ihm der Gedanke, zu Fagerolles zu gehen und sich zu erkundigen; aber Scham hielt ihn zurück. Da die Jury übrigens in alphabetischer Reihenfolge vorging, war vielleicht noch nichts entschieden. Und eines Abends versetzte es ihm einen Stich ins Herz, als er auf dem Boulevard de Clichy zwei breite Schultern auf sich zukommen sah, deren Wiegen ihm sehr bekannt war.
    Es war Bongrand, der verlegen zu sein schien. Als erstes sagte er:
    »Sie wissen ja, mit diesen Kerlen da kommt man kaum vom Fleck … Aber noch ist nicht alles verloren, wir passen auf, Fagerolles und ich. Und rechnen Sie auf Fagerolles, denn ich, mein Lieber, ich habe eine Heidenangst, daß ich Ihnen nur Unannehmlichkeiten bereite.«
    Die Wahrheit war, daß Bongrand in ständiger Feindschaft mit Mazel lag, dem Vorsitzenden der Jury, einem berühmten Meister der Ecole des Beaux Arts, dem letzten Bollwerk der eleganten und schmalzigen konventionellen Manier. Obwohl sie einander mit »lieber Kollege« anredeten und

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