Das Werk - 14
kräftige Händedrücke tauschten, war diese Feindschaft gleich am ersten Tag kraß hervorgetreten; der eine konnte nicht die Zulassung eines Bildes beantragen, ohne daß der andere für eine Ablehnung stimmte. Fagerolles hingegen, der zum Schriftführer gewählt worden war, hatte sich zum Spaßmacher, zum Hofnarren Mazels gemacht, der seinem ehemaligen Schüler die Abtrünnigkeit verzieh, so sehr ging ihm heute dieser Renegat um den Bart. Übrigens zeigte sich der junge Meister, der sehr kaltschnäuzig war, wie die Kumpels zu sagen pflegten, gegen die Anfänger, die Kühnen, viel härter als gegen die Mitglieder des Institut de France; und er wurde nur menschlicher, wenn er die Annahme eines Bildes durchsetzen wollte, dann floß er über vor komischen Einfällen, intrigierte, brachte mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers das gewünschte Abstimmungsergebnis zustande.
Die Arbeit der Jury war eine harte Fron, bei der sogar Bongrand seine kräftigen Beine abnützte. Alle Tage wurde die Arbeit von den Aufsehern vorbereitet; eine endlose Reihe auf die Erde gestellter, gegen die Gesimsleiste über dem Wandsockel gelehnter großer Bilder zog sich durch die Säle des ersten Stocks; und jeden Nachmittag begannen die vierzig, an ihrer Spitze der mit einer Klingel ausgerüstete Vorsitzende, gleich um ein Uhr wieder denselben Spaziergang, bis sie alle Buchstaben des Alphabets durch hatten. Die Urteile wurden im Stehen gefällt, man pfuschte soviel wie möglich bei dieser Arbeit hin und verwarf die schlechtesten Gemälde ohne Abstimmung; jedoch hielten die Erörterungen die Schar mitunter auf; man stritt sich zehn Minuten lang, man behielt das Werk für die nochmalige Durchsicht am Abend zurück, während zwei Männer eine zehn Meter lange Schnur in vier Schritt Entfernung vor den Bildern straff spannten, um die Woge der Jurymitglieder, die im Feuer der Auseinandersetzung nachdrängelten und deren Bäuche trotz allem die Schnur ausbuchteten, in gehörigem Abstand zu halten. Hinter der Jury schritten die siebzig Aufseher in weißen Kitteln, schwenkten auf Befehl eines Oberaufsehers ein und nahmen bei jeder Entscheidung, die die Schriftführer mitteilten, die Aussonderung vor, die Trennung der Angenommenen von den Abgelehnten, die wie Leichen nach einer Schlacht weggeschleppt wurden. Und dieser Rundgang dauerte zwei reichliche Stunden, ohne eine Atempause, ohne etwas zum Hinsetzen; die ganze Zeit waren sie auf den Beinen, wobei sie vor Erschöpfung von einem Fuß auf den anderen traten, in dem eisigen Luftzug, der auch die am wenigsten Verfrorenen zwang, sich tief in die Pelzmäntel zu verkriechen.
Deshalb war der Imbiß um drei Uhr sehr willkommen: eine Rast von einer halben Stunde an einem Buffet, an dem man Bordeaux, Schokolade und Sandwiches vorfand. Dort ging das Feilschen um gegenseitige Zugeständnisse los, das Austauschen von Einflüssen und Stimmen. Die meisten hatten Notizhefte, um im Hagel der Empfehlungen, der auf sie niederging, niemand zu vergessen; und sie gingen mit sich zu Rate, sie verpflichteten sich, für die Schützlinge eines Kollegen zu stimmen, falls dieser für die ihren stimmte. Andere dagegen, die mit diesen Intrigen nichts zu schaffen haben wollten, schauten streng oder unbekümmert drein und rauchten verlorenen Blicks eine Zigarette auf.
Dann wurde die Arbeit wiederaufgenommen, aber gemächlicher und in einem einzigen Saal, in dem Stühle und sogar Tische mit Federn, Papier und Tinte standen. Alle Bilder unter ein Meter fünfzig wurden dort beurteilt, »kamen auf die Staffelei«, zu zehn oder zwölf längs einer Art Gerüst aufgereiht und mit grüner Serge zugedeckt. Viele Jurymitglieder vergaßen selig die Zeit auf den Sitzen, mehrere erledigten ihre Korrespondenz, der Vorsitzende mußte böse werden, um Stimmenmehrheiten zu erreichen, mit denen er sich nicht zu verstecken brauchte. Mitunter wehte plötzlich Leidenschaft, alle drängten sich, das Abstimmen durch Handerheben erfolgte in einem solchen Fieber, daß mit Hüten und Spazierstöcken über den stürmischen Wogen der Häupter in der Luft herumgefuchtelt wurde.
Und dort auf der Staffelei erschien endlich »Das tote Kind«. Seit acht Tagen überließ sich Fagerolles, dessen Heft von Notizen überquoll, verwickelten Feilschereien, um Stimmen zugunsten von Claude zu finden, aber die Sache war schwierig, sie paßte nicht recht zu seinen anderen Verpflichtungen, er bekam nur Ablehnungen, sobald er den Namen seines Freundes aussprach; und
Weitere Kostenlose Bücher